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Gaunerinnen

Vorwort der Autorin

Liebe Leserinnen und Leser! Ich heiße Jana Denole und lebe in der Schweiz, in Zürich. Hier spielen sich auch die Ereignisse ab, die in meinem Buch beschrieben sind. Vielleicht wundern Sie sich, wenn ich sage:

Ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der stolz darauf ist, dass er im Gefängnis saß. In den drei Monaten, die ich in schrecklichen Strafanstalten verbrachte, traf ich unglaubliche Menschen, die mich so beeindruckten, dass mir keine andere Wahl blieb, als darüber zu schreiben.

Ich bin sicher, dass mein Text Sie nicht gleichgültig lassen wird.

„Gaunerinnen“ ist keine frei erfundene Geschichte, sondern es handelt sich um Bekenntnisse eines Mädchens, dessen Schicksal Sie zum Lachen und zum Weinen bringen wird. Von einem Extrem ins andere. Was ist Geld wirklich wert, und wohin führen die Wege, die man geht, um es zu erwerben? Was wird im Leben bestraft, und was bedeutet es, begnadigt oder verurteilt zu werden?

Viel Vergnügen beim Lesen!

Ihre frischgebackene Autorin Jana Denole

Rendezvous eines Schmetterlings

In einer Stadt in der Nähe von Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, wurde ein Mädchen geboren. Es erhielt den Namen Natalja. Es schien, als hätten in jener Nacht alle Einwohner der Stadt das herzzerreißende Stöhnen der Mutter und das erste schwache Wimmern des blauäugigen, blonden Kindes gehört. In solchen Orten wissen gewöhnlich alle, wer wann auf die Welt kommt und diese verlässt. Man kann nicht sagen, dass die Stadt Belaja Zerkow klein war. Sie war sogar ziemlich weitläufig. Berühmt ist dieser Ort nicht unbedingt für die schöne weiße Kirche, die am Flussufer neben hohen Weiden steht, die sich malerisch ins Wasser neigen. Vielmehr kennen die Ukrainer diesen Ort als furchterregende Hochsicherheitsstrafkolonie, um die sich verschiedenste Geschichten aus dem Leben der Sträflinge ranken. Das Gefängnis gab den Menschen Arbeitsplätze, kettete aber die freien Bürger dadurch ebenso an diesen grauenvollen Ort wie Verbrecher, die dort hinter Gittern saßen. In Wirklichkeit unterscheiden sich die Menschen, die jahrelang im Gefängnis arbeiten, durch nichts von Insassen.

Das blonde Mädchen Natalja wuchs in einem Haus mit großem Hof und Landwirtschaft auf, mit Hühnern, Schweinen und Schafen. Es waren drei Kinder: Natalja, der ältere Bruder Iwan und die jüngere Schwester Oletschka. In der Familie herrschten Ordnung, kirchliche Erziehung und Liebe. Die Eltern waren eifrige Diener der Kirche, die ihren Kindern das gleiche Familienglück wünschten, wie sie es selbst unter Schwierigkeiten und nach vielen Lebenswirren erreicht hatten. Der Vater liebte seinen Sohn Iwan über alles und wollte, dass dieser die Familientradition im Dienst Gottes fortsetzen würde. Aber Iwan sträubte sich gegen den Willen des Vaters und träumte davon, Polizist zu werden. Die jüngere Tochter Oletschka, ein liebes Kind mit großen braunen Augen, hatte den Traum, ihren Platz in einem Kloster zu finden, wo sie Menschen helfen könnte, den rechten Weg zu finden. Die Mutter indessen wollte gar nicht, dass die Kinder sich um ihr weltliches Vergnügen brachten, indem sie den Traditionen der Familie folgen. Als Natalja dreizehn Jahre alt wurde, entdeckte sie in sich einen unwiderstehlichen Hang zu älteren Männern. In der Schule war sie bei ihren Klassenkameradinnen nicht beliebt, diese hielten sich sogar fern von ihr. Die Blonde meinte, das sei einfach der Neid. Sie hielt ihr Doppelleben vor allen geheim, denn sie wollte ihrer Musterfamilie mit ihren merkwürdigen Neigungen ganz sicher keine Schmach antun. Deshalb wurde ihr erstes Opfer der Sportlehrer der Schule, ein attraktiver verheirateter Mann, dessen ahnungslose Frau ruhig ihr erstes Kind austrug und darauf wartete, dass ihr geliebter Mann von der Arbeit nach Hause kam. Er war schön wie ein Gott! Ein hochgewachsener, durchtrainierter, blonder Macho mit einem strahlenden Lächeln, der für kurze Zeit das Herz der Bestie gewann. Sie kannte alle Schliche, wie sie das Gewünschte erreichen konnte, in diesem Fall ihn…

Er hatte panische Angst davor, dass ihre Beziehungen bekannt werden könnten, und verfluchte sich selbst wegen seiner Unvorsichtigkeit, aber nur solange, bis sein Engel auf Erden ihn umarmte. Sie duftete nach frischer Milch, die Linien ihres Körpers machten ihn verrückt. Er wusste nicht, dass er einer Betrügerin in die Falle gegangen war, denn sie sagte ihm, dass sie in die neunte Klasse gehe und schon sechzehn Jahre alt sei. Als er die Wahrheit erfuhr, war es zu spät, sich darum Sorgen zu machen: Getan ist eben getan. Es hatte ihn erschüttert, aber kaum ein Mann ist in der Lage, so einer Verlockung standzuhalten. Für das Mädchen war er der Erste, deswegen glaubte sie, dass er sie anbeten und auf alle ihre Launen eingehen sollte. Sonst drohte sie ihm, seiner lieben Frau einen unerwarteten Besuch abzustatten. Mit der Zeit bekam der Sportlehrer Angst vor Natalja und versuchte, seine Frau zu überreden, in die Hauptstadt zu ziehen. Den Umzug begründete er mit dem höheren Gehalt in Kiew. Nach einigen Monaten wurden die Einwohner des Viertels vom merkwürdigen Verschwinden des Sportlehrers mit seinem vor kurzem geborenen Baby überrascht. Diese Nachricht schien Natalja nicht weiter aufzuregen, sondern im Gegenteil sogar zu erheitern.

„Feigling!“, dachte sie. „Macht nichts, ich habe noch alles vor mir! Auf der Welt gibt es jede Menge Männer, die für Größeres bereit sind! Mein mit frischer Milch ernährter Körper wird mir Millionen bringen! Da bin ich mir sicher!“

Die Zeit verging, allmählich entwickelte das Mädchen prächtige Brüste, ihr Haar wuchs üppig. Glänzende Strähnen flossen über ihren Rücken bis zur schmalen Taille. Ihre breiten Hüften betonten eben jene Gitarrensilhouette, von der sie wusste, dass sie Männer lockt und anzieht. Das kindliche Lächeln auf den vollen roten Lippen und ihre Augen, blau wie Wellen der Ostsee, machten es schwer, den Blick von ihr abzuwenden. Nach dem Schulabschluss musste sie ihre Heimatstadt verlassen, denn sie stand in einem eindeutigen, so gut wie jedermann bekannten Ruf. Vermutlich hatten nur ihre Eltern keine Ahnung davon, und zwar aus einem einfachen Grund: Niemand traute sich, beim Hochwürdigen Herrn Priester über sein Töchterchen zu tratschen. Ihr Bruder, der tatsächlich Polizist wurde, schenkte den Gerüchten keinen Glauben. Er verhaftete die Klatschmäuler schlichtweg und verabreichte manchen von ihnen im Untersuchungsgefängnis eine Tracht Prügel. Seine Schwester hatte mit fast allen wohlhabenden verheirateten Männer der Stadt geschlafen. Sie interessierte sich nicht für ihre Altersgenossen, mochten diese auch echte Hengste sein. Nur reife und vermögende Männer weckten ihre Aufmerksamkeit. Sie schaffte es, von jedem etwas Geld zu erpressen. Natalja hatte gute Kleidung, fuhr nach Kiew auf der Suche nach neuen Sponsoren und fasste den ernsthaften Plan, später in die Hauptstadt zu ziehen. Das Publikum hier war viel zu klein für einen Star wie sie! Auch die Männer entsprachen nicht mehr ihrem Maßstab!

Sie bekam ihr Abschlusszeugnis und machte sich auf, um neue Gipfel zu bezwingen…

Kiew empfing sie mit grellen Lichtern.

„Wie riesig!“ Sie genoss die Aussicht aus dem Autofenster, als sie zur Universität fuhr, um sich immatrikulieren zu lassen.

Nach einem Treffen mit dem Dekan wurde sie nicht nur an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften eingeschrieben, sondern bekam auch ein Zimmer im Studentenwohnheim. Der alte Narr war begeistert von Nataljas zarter Stimme. Der Frechling starrte ununterbrochen auf den Ausschnitt ihres Kleides.

Sie strich seine Haare akkurat zurecht, die sich, mit einer Gelschicht bedeckt und seitlich gekämmt, kaum auf der Glatze hielten, streichelte leicht seinen Hals und lächelte nett. Saweli Rodionowitsch wurde auf der Stelle schwach und blickte verlegen auf die atmende Brust dieses Engels. Zwei schön geformte kleine Hügel hoben sich unwillkürlich bei jedem Atemzug.

Wie ein Vulkan brach rosige Haut hervor. Für einen Augenblick fühlte er sich wieder jung. Er wollte ihr in den Wahnsinn der Leidenschaft und Schlüpfrigkeit eintauchen. Natalja nutzte den Augenblick. Plötzlich fiel ihr wie zufällig die Dokumentenmappe auf den Boden. Mit geschmeidigen Körperbewegungen beugte sie sich nieder, biss sich unschuldig auf die Unterlippe und begann, ihre Papiere einzusammeln. Es schien ihm, als ob ein kalter Schweißtropfen über seinen Rücken liefe. Er war so unschlüssig hinsichtlich der Situation, in der er sich befand, dass er entschied, sich nicht von der Stelle zu rühren, bis seine bewährte, von kalter Logik gehärtete Vernunft ihm sagte, was er tun soll. Mehrere Minuten stand er wie versteinert und starrte auf die prallen, schwankenden Brüste des Mädchens, das die weißen, wie ihm schien, leeren Blätter auflas. Er schüttelte ruckhaft den Kopf, beugte sich über sie und machte sich gleich daran, ihr zu helfen. Es war der entscheidende Moment, auf den sie gewartet hatte!

„Jetzt habe ich dich erwischt!“, schoss es Natalja durch den Kopf.

Sie bedankte sich für die Hilfe und küsste ihn kindlich auf die Wange. Er errötete vor Glück und hörte nicht, was diese schöne Nixe sagte. Gleich, was sie ihn fragte, seine Antwort klang eindeutig: „Ja!“

Dieser Tag erwies sich nicht nur als wahrer Festtag im Nataljas Leben. Sie war jetzt Studentin an einer prestigeträchtigen hauptstädtischen Universität! Sie rief zu Hause an und erfreute ihre Familie mit dieser überraschenden Nachricht. Damit beseitigte sie alle Zweifel und widerwärtigen Gerüchte. So ein kluges Köpfchen konnte unmöglich eine billige Hure sein, wie böse Zungen gelästert hatten.

„Nein, so was muss man erfinden!“, zeterte ihr Bruder. „Wie können Leute bloß so falsch sein! Ins Gefängnis sollte man sie alle stecken!“

Das Mädchen lachte und verteidigte die Intriganten.

„Ach, mach dir keinen Kopf! Lass die Leute reden, was sie wollen. Das Leben wird schon sein Urteil fällen und zeigen, wer was wert ist.“

„Du bist viel zu gut für diese Welt“, antwortete der geliebte Bruder.

Natalja freute sich in der Seele über ihren Sieg.

Gott sei dank hatte sie dieses Kaff zur rechten Zeit verlassen.

Nach den Abendvorlesungen flatterte Saweli Rodionowitsch Rudkow wie eine Lerche in der Innenstadt umher und hatte keine Lust, nach Hause zu gehen. Er ging in ein Café, um eine Tasse Tee zu trinken. Kaffee war ihm schon längst wegen seines Gesundheitszustands verboten.

„Ach! Ich pfeife auf die Vorschriften der Ärzte und trinke ein Kognäkchen!“, murmelte er verbittert in seinen Schnurrbart. „Ihr seid selber krank! Ich bin gesund! Und fühlen tue ich mich wie ein Dreißigjähriger!“, rief er und bestellte, ohne weiter zu überlegen, einen Kaffee mit Kognak.

Am gleichen Tag erhielt Nata die Schlüssel zum besten Zimmer im Wohnheim.

Ihr Zimmer lag ganz am Ende eines Korridors. Der alte Perversling sorgte sich wohl darum, dass niemand sah, wie er sich aus dem Dekanat zu ihr schlich, bemerkte das Mädchen. In ihrer Studentenbude gab es zwei Fenster, was sehr erfreulich war. Sie ging auf den Markt, um Vorhänge und eine grellgrüne Tischlampe zu besorgen, und fing eifrig an, sich in ihrer neuen Behausung einzurichten. Abends hatte sie vor, ein paar Stripclubs zu besuchen, die inserierten: „Job mit Tanzausbildung“. Damit wollte sie ihrem Traum – reichen Bonzen – möglichst nahekommen.

Sie wusste, dass alle Männer unzüchtig sind und in ihrer Freizeit gerne Bordelle besuchen.

Verdammte Routine! Die schwammigen Frauen zu Hause langweilten sie! Wer von denen konnte sich schon mit einem jungen, frischen Körper vergleichen? Bei diesen Gedanken bekam sie Lust, mit sich selbst Sex zu haben.

Sie liebte ihren prallen Körper, ihre zarte, rosige Haut. Während der „Paarung“, wie sie es oft nannte, schaute sie meistens auf sich selbst, auf ihren Körper, der sich in Krämpfen wand. Manchmal dachte sie, was für ein Glück er mit seiner „Besitzerin“ habe, die es so gut verstand, ihn seinem Zweck entsprechend zu nutzen und dabei in vollem Maße zu genießen. Liebe wollte sie immer und überall! Je mehr, desto besser. Sie stellte sich selbst eine richtige Diagnose – Nymphomanie.

Ein eng anliegendes rückenfreies Kleid betonte alle ihre Reize. Ohne besondere Anstrengung ihrerseits wurde sie als Tänzerin in einem Nachtklub mit einem jämmerlichen Lohn angestellt, aber so richtig froh war sie darüber nicht. Sie überblickte die Gäste der Location und stellte fest, dass diese bei weitem nicht die Gesellschaftsschicht repräsentieren, die sie erreichen wollte. Sie lechzte nach Parlamentsabgeordneten, Botschaftern oder Scheichs. Das Publikum hier war dagegen nur ein verächtliches Schulterzucken wert.

In den String hatte man ihr bloß je 20, höchstens 30 Dollar gesteckt. Aber sie ließ sich Zeit und kündigte nicht sofort. Schließlich brachte man ihr völlig kostenlos Poledance bei, oder genauer gesagt, man zog den Unterricht von ihrem virtuellen Lohn ab.

Eines Tages nach der Arbeit bekam sie Lust, ein Stück des Weges zu Fuß zu gehen. Sie genoss den Sonnenaufgang, sah mit Vergnügen auf das morgendliche Getümmel, Menschen, die zur Arbeit eilten und ihre Kinder im Genick gepackt in die Kindergärten schleppten. Plötzlich schoss ihr der Gedanke an ein normales Leben, an Kinder durch den Kopf. Sie stellte sich ihren Ehemann vor, einen Millionär, wie er auf der Terrasse eines riesigen Hauses irgendwo in der Schweiz beim Kaffee sitzt und die Morgenzeitung liest.

Sie rüttelte sich aus diesen Träumereien auf und ging zu einem Kiosk, der gerade öffnete und wo eine böse, unausgeschlafene Oma herumwurstelte und ihre Waren auslegte. Das Mädchen blickte auf die druckfrische Presse und eine Anzeige fiel ihr auf: „Elite-Escort-Service“. Sie spürte ein Kribbeln im Bauch, ihre Brustwarzen schwollen an, ein warmes, feuchtes Gefühl pulsierte so stark in der weichen Höhle des Paradieses, als ob ihr Herz in diese intime Zone ihres wunderbaren Körpers gerutscht wäre. Sie bekam einen Orgasmus davon, dass sie genau das fand, wonach sie sich so sehnte.

Sex und Geld! Wie hatte sie nur früher nicht verstehen können, dass sie genau für dieses eine Ziel auf diese Welt gekommen war – Priesterin der Liebe zu werden.

Diese Kombination hatte sich das Mädchen selbst so lange nicht enträtseln können. Sie begab sich eilig in Richtung Wohnheim. Sie musste alles gut überlegen, denn sie hatte nicht viel Zeit für dieses unerwartete Hobby. Das Studium und die Arbeit im Nachtklub dreimal in der Woche nahmen jede Menge Zeit in Anspruch. Auch Gerüchte verbreiteten sich schnell an der Uni. Sie war fast nie in den Vorlesungen zu sehen, und wenn doch, schlief sie einfach in der Bank. Im Studienbuch hatte sie natürlich immer „bestanden“ stehen, dank ihrem ergebenen Diener Rudkow.

Natalja machte sich darum keine besonderen Sorgen, sie verkehrte mit so gut wie keinem ihrer Kommilitonen, sie lebte still und zurückgezogen. Sie hatte kein Interesse an Studentengelagen der Art: „Eine Flasche Wodka für den ganzen Haufen“, bevor man in die Disko geht.

Sie strebte nach den echten gesellschaftlichen Höhen und den Millionen. Sie hatte eine Vorahnung, dass sie eine reiche Dame werden könnte! Wenn Natalja das Wort „Schicksal“ in den Mund nahm, stellte sie sich darunter immer etwas Großartiges vor. Diese Gedanken bereiteten ihr ebensolche Befriedigung wie das intime Zusammensein mit Männern. Ihr Gang wurde geschmeidiger, ihr Rücken gerader, die Hüften öffneten sich, die rosigen Brustwarzen wurden prall und rau.

Saweli, verliebt oder verhext, machte sich keine Gedanken darüber, dass ihre Beziehungen bekannt werden könnten. Er fühlte sich wie verjüngt und färbte sich die Haare. Während der romantischen Abende mit seiner Geliebten gönnte er sich ein Glas Sekt und erzählte von seiner stürmischen Jugend. Ihm gefiel, wie sie, die Oberlippe fast kindlich aufgeschürzt, seinen Geschichten mit wachem Interesse zuhörte und am Ende vergnügt krähte. Sie mochte Erdbeeren. Bei ihren langen Gesprächen aß sie immer wieder eine nach der anderen. Es schien, als ob die Röte auf ihren vollen Wangen von diesen paradiesischen Früchten käme. Er war bereit, zu jeder Jahreszeit auf der Suche nach Erdbeeren durch die ganze Stadt zu rennen und jeden Preis für das Kilo zu zahlen. Er stellte sich vor, wie sie statt einer Erdbeere sein Glied in den Mund nahm und den ganzen Saft seiner Atomladung einsaugte. Es brachte ihn auf den Gipfel der Glückseligkeit. In diesem Fall war ihm die Meinung seiner Mitmenschen merkwürdigerweise gleichgültig, so unwiderstehlich zog Natalja ihn an.

Saweli hatte eine heimliche Affäre mit einer Studentin an der Universität in Winniza gehabt, an die er sich nicht gerne erinnerte.

Der arme Kerl wurde damals vor die Wahl gestellt: Entweder sollte er die Universität verlassen, oder die Affäre würde an die Öffentlichkeit gebracht.

Saweli teilte seiner Ehefrau mit, er sei nach Kiew versetzt worden, und verließ seine Heimatstadt für immer. Aber Natalja war mit jener ungeschliffenen dummen Gans gar nicht zu vergleichen, die in der ganzen Stadt verbreitete, wie cool sie doch war, weil sie mit dem Lehrer schlief.

Natalja war etwas ganz Besonderes!

Die Heldin der derbsten und süßesten Romanze seines Lebens, die Muse seiner unzüchtigen Fantasie. Er bekam von ihr alles in voller Höhe, seine Wünsche wurden vollkommen befriedigt. Saweli war kein großzügiger Mensch, eher ein geiziger, narzisstischer Egoist und Fetischist. Er war es nicht gewöhnt, zu geben. Er hielt nichts von Menschen, die er nicht für seine Zwecke ausnutzen konnte, und verachtete sie.

Er liebte es, an Frauenschlüpfern zu riechen, er nahm die Unterwäsche von Prostituierten, die er sich einmal in der Woche, gewöhnlich freitags, nach den schweren Arbeitstagen holte. Er feilschte mit dem Mädchen um jede Hrywnja, dann einigten sie sich meistens darauf, dass er die Unterwäsche als Geschenk behielt. Viele Straßennutten kannten den Dekan persönlich und hatten billige, fertig vorbereitete stinkende Schlüpfer dabei.

An einem solchen außergewöhnlichen Abend, als Saweli auf dem Weg nach Hause zu seiner Frau und Kindern war, roch er so heftig an einem Schlüpfer, dass er Nasenbluten bekam. Dann schmiss er den Fetzen in die Mülltonne, die am Hauseingang stand. Am folgenden Morgen rannte er wie ein geölter Blitz aus dem Haus, spielte den musterhaften Familienvater und trug als erster den Mülleimer raus, um wenigstens flüchtig ein Auge auf den Boden der Mülltonne zu werfen. Er atmete die frische Morgenluft ein und erinnerte sich erregt an seine Umtriebe von gestern.

Seine Frau begrüßte ihn immer mit einem Lächeln und plagte ihn nicht mit Fragen. Maria war ihrem Aussehen nach um die fünfzig Jahre alt. Anders als ihr Mann färbte sie sich die Haare nicht, sondern frisierte ihre klassischen grauen Haare zu einer stolzen, mit Haarlack bedeckten Haube. Ihr Gesicht strahlte Ruhe und Zuversicht aus, sie war überzeugt, dass ihr Ehemann der Beste auf der Welt war, der ihr ein angenehmes Dasein als Hausfrau und Mutter dreier Kinder geschenkt hatte.

Vor dem Schlafengehen schickte Saweli ein paar witzige SMS mit Bildern von tanzenden Waschbären an Natalja und stellte sich vor, wie sie herzlich und laut lacht, dass es im halben Wohnheim zu hören ist. Mit diesen Gedanken schlief er vergnügt ein.

Sie aber hatte zu dieser Zeit gar nicht die Absicht, schlafen zu gehen. Sie hatte ihren Zeitplan endlich erstellt und beschloss, die Rufnummer des Escort-Service zu wählen. Der Hörer wurde von einer Frau abgehoben. Das Mädchen war etwas erstaunt. Nach einer kurzen Pause sagte sie:

„Guten Abend! Ich heiße Natalja. Ich rufe wegen der Arbeit an.“

„Ja, ja“, erwiderte die freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Das entspannte sie ein bisschen.

Sie erfuhr, dass die Auswahl der Kandidatinnen auf Basis eines Wettbewerbs stattfinde und die Firma reiche Kunden habe. Ihre Finger drückten den Hörer immer fester, aufmerksam hörte sie jedes Wort. Es gebe vielfältige Kunden und mehrere von ihnen seien Ausländer. Englischkenntnisse seien erforderlich.

„Englischkenntnisse sind vorhanden“, antwortete Nata sicher. Das Basisniveau hatte sie ja schon.

„Sehr gut. Warten Sie auf unseren Rückruf.“

In Kiew herrschte Frost, trotzdem war das Wetter mehr widerlich als kalt. Kein Schnee, aber viel Eis auf dem trockenen, schmutzigen Asphalt. Bei solchem Wetter wollte man nur warme Socken anziehen und die Serie „Santa Barbara“ bis zum Ende anschauen, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen. Natalja hatte keine Lust, das Wohnheim zu verlassen, dazu noch in ihrer kurzen Daunenjacke, in der sie bis in die Knochen fror. Deshalb kniete sie sich ins ihr Studium. Es gab viel zu lernen und das Mädchen schaffte es nicht, alles rechtzeitig zu erledigen. Sie fragte einen Kommilitonen, der abends in der Bar arbeitete, warum bei ihm alles so rechtzeitig klappte, und fand heraus, dass viele Studenten Amphetamin nahmen. Das half ihnen, sich tagelang aufs Lernen zu konzentrieren, und vor allem beim schnellen Lesen. Erfreut beschloss sie, dieses Wundermittel auszuprobieren. Natalja hatte noch nie zuvor Drogen konsumiert, das war ihr erstes Mal. Es gefiel ihr sehr gut! In diesem Zustand verschwindet der Appetit, der Mensch denkt, liest und läuft viel schneller. Sie entwickelte ein neues Lebenstempo. Parallel zum Studium schrieb sie jeden Tag hundert neue englische Wörter aus dem Wörterbuch heraus und bemühte sich, sie alle im Gedächtnis zu behalten.

Endlich erhielt sie den lang ersehnten Anruf. Ein Mann rief sie an, sie vereinbarten ein Treffen.

Natalja zog ein grellgrünes Kleid aus feinem Stoff an, ähnlich dem, aus welchem Leggins hergestellt. Das Kleid hatte einen Rückenausschnitt bis zur Taille und war für kleines Geld in einer Marktschneiderei genäht worden. Einige Minuten zweifelte sie: „Das Kleid passt eindeutig nicht zu dieser Jahreszeit, dafür ist es sehr sexy und grell. Nein, es ist genau das, was ich brauche!“

Sie zog über das Kleid eine Bluse und die Daunenjacke an und ging hinaus. Sofort wurde sie vom beißenden Frost gepackt.

„Brrr! Oh, du Frost! Lass mich los!“

Ihr rosiger Körper wurde bläulich, die Knie dunkel weinrot. Sie stieg in die warme U-Bahn, alle ihre Gedanken drehten sich um den „Traumjob“.

Im Innersten war Natalja ruhig. Sie wusste, dass sie den Job ohne besondere Anstrengung und ohne Wettbewerb bekommen würde. Es war ja genau das, was sie konnte und mit Leib und Seele wollte. Sie glaubte immer daran, dass sich gutes Geld ausschließlich mit einer Arbeit verdienen ließ, die einem den richtigen Spaß machte. Sie verstand die Menschen nicht, die morgens gähnend jammerten und sich aus dem warmen Bett zwangen, um zu einer Arbeit zu gehen, die sie hassten und verfluchten.

Das war nicht richtig! Sie war sich dessen ganz sicher.

Als sie zum Gesprächstermin kam, sah sie einen kleinwüchsigen Mann mit einer Goldkette um den Hals und in einer Lederjacke. Sie hatte den Eindruck, dass seine Halsmuskeln gerade durch das Gewicht der Kette so gut entwickelt waren. Sein Blick war wie der eines Hundes. Es schien, als wollte er sie gleich beschnuppern. Aber nein. Sein Blick fiel auf den Nataljas Busen, der bläulich und mit Gänsehaut überzogen war, weil sie sich entschlossen hatte, ihn sogar bei Frost für den vollen Effekt zu entblößen. Er betrachtete das vor Kälte blau angelaufene Mädchen wie eine Puppe im Schaufenster einer Boutique und presste beifällig lächelnd die schmalen bläulichen Lippen zusammen. Für sich bemerkte er, dass die Kleine dem Aussehen nach wohl einen Überschuss an Originalität mitbrachte. Natalja fiel ein Stein Herzen, sie fühlte sich rundum wohl.

„Artschik“, stellte sich der Mann vor und reichte ihr die Hand.

„Natalja. Sehr erfreut“, erwiderte sie kokett und zähneklappernd vor Kälte.

„Ist Ihnen nicht kalt in diesem Outfit?“

„Es gibt niemanden, der mich wärmen könnte!“

Der Mann lachte.

„Ich sage kurz was zu den Arbeitsbedingungen. Sie können zu jeder Tageszeit angerufen werden, zwei Stunden vor Abfahrt. Dabei sind Sie immer frisch gewaschen und schön frisiert. Benutzen Sie bitte regelmäßig Parfüm. Vorerst werden Sie als Callgirl beschäftigt. Sie haben zwei Monate, um sich zu profilieren und von der besten Seite zu zeigen. Pünktlichkeit ist sehr wichtig in unserer Arbeit. Die Kunden sind launisch und anspruchsvoll. Um Geld zu bitten ist verboten. Alkoholgenuss in begrenzten Mengen. Männer wollen keine Frauen, die eine Fahne haben.“

„Mich wollen alle! Egal mit oder ohne Fahne!“

Er lächelte übers ganze Gesicht.

„Ich will die reichsten Kunden!“

Artschik war nicht erstaunt über die Forderungen und Bestrebungen des Mädchens vom Land. Gerade solche Frauen brachten es meisten zu Erfolg. Sie gingen durch dick und dünn in ihrem Streben nach Glück. Und brachten dabei den Zuhältern gute Gewinne.

„Können wir uns vielleicht duzen? Ich bin doch nicht in einem Vorstellungsgespräch für eine Position als Bibliothekarin.“

„Hm, natürlich, einverstanden! Ab jetzt per du, Schnucki! Die nächsten zwei Monate wirst du meistens Anrufe von Touristen und Bestellungen aus Saunas und Privathäusern bekommen. Danach sehen wir weiter. Alles hängt natürlich von dir ab. Eine Frage noch, Natalja: Was hältst du von Oralsex?“

„Finde ich toll!“

„Gruppensex?“

Nataljas Augen leuchteten auf. Es fiel ihr schwer, über diese Themen ohne Erregung zu sprechen.

„Nichts dagegen“, antwortete sie schwer atmend. Der Mann erkannte ihre Begeisterung und fuhr fort:

„Mit Frauen?“

„Nur Frauen nicht so gern. Aber wenn wenigstens ein Schwanz mit im Spiel ist, auf den sich man ein paar Mal niedersetzen kann, passt das schon“, erklärte sie.

„Mit Hunden?“

„Das habe ich noch nie probiert, denke aber, dass es eine interessante Erfahrung sein könnte. Weißt du, welche Hunderasse den längsten Penis hat?“

„Ich glaube, sie haben alle einen kurzen“, schmunzelte Artschik.

„Dann besser mit Pferden. Wie Katharina die Große“, scherzte Natalja, zwinkerte ihm zu und brach in Gelächter aus.

Es war nicht leicht, Artschik zum Lachen zu bringen, aber sie hat es geschafft.

„Sie wird mein Brillant“, dachte er. Sein Glied begann anzuschwellen bei seinen lasterhaften Gedanken. „Dann will ich keine Zeit verlieren und das neue Pferdchen heute noch einreiten! Ich ficke diese nasse Fotze so, dass sie alle Pferde vergisst.“

Natürlich wusste Artschik, dass er seine Möglichkeiten leicht übertrieb, aber er war daran gewöhnt, dass die Frauen ihn mit Komplimenten überschütten. Mit ihm ins Bett gingen nur die Frauen, die Arbeit brauchten. Diese Lebenslage kam ihm sehr zupass und steigerte sein Selbstvertrauen.

Plötzlich vibrierte das Handy in seiner Hand.

„Ja, gut“, antwortete er. „Ich komme in 10 Minuten.“

„Entschuldige, Natalja, ich muss gehen. Ich habe noch einen Termin hier in der Nähe. Wollen wir heute vielleicht zusammen zu Abend essen? Wir können die Fragen bezüglich Ihrer Honorars in einem der besten Restaurants der Stadt besprechen. Welche Küche bevorzugen Sie? Mediterran? Traditionell?

„Bist du wieder per Sie mit mir?“

„Berufliche Gewohnheit. Entschuldigung.“

„Ich bin nicht wählerisch. Meistens esse ich Würstchen. Ich brate sie selber!“

Er brach in Gelächter aus…

Er senkte den Kopf und bemerkte, dass sein eigenes Würstchen aus der Hose ausbrach und gar nichts dagegen hatte, von einer geschickten Köchin gebraten zu werden.

Sie teilten einander ihre Rufnummern mit und Natalja verschwand unauffällig aus dem Gebäude.

Sie wusste, dass Prostitution in der Ukraine illegal war, und wollte nicht, dass man sie einmal zu oft in Gesellschaft verdächtiger Personen sah. Zumal sah Artschik wie ein echter Zuhälter aus.

Natalja ging einige Häuserblocks weit zu Fuß und überlegte sich, wie der heutige Abend zu gestalten sei. Sie hatte den heutigen Abend schon früher geplant, eigentlich hatte sie Saweli ein „Erdbeerabend“ versprochen und sollte sich auf langweilige Geschichten aus seiner Jugend einstellen, die sie ohnehin an sich vorbeiziehen lassen würde. Sie musste nur am Ende jeder Geschichte laut lachen und so tun, als ob er ein echter Eroberer von Frauenherzen gewesen wäre.

Sie nahm die Rolle des sterbenden Schwans an, rief Saweli an und sagte mit heiserer Engelsstimme ihr Treffen ab. Als Grund gab sie an, sie habe die Grippe. Sie wusste, dass er Angst vor Mikroben hatte.

Dafür bereitete sie sich mit umso größerem Enthusiasmus auf das Treffen mit dem Helden ihres eigenen Erotikromans vor.

Sie wählte ein rotes Kleid aus und beschloss, keine Unterwäsche anzuziehen. Den Schlüpfer würde sie heute doch kaum brauchen. Sie nahm ein duftendes Schaumbad. Entspannt im warmen Wasser liegend, rasierte sie sich vorsichtig die Beine. Sie führte den Rasierer bis ganz oben und berührte sanft die zarteste Stelle. Weiße Schaumblasen liebkosten weich ihren Busen. Sie streichelte sich am Unterleib und verspürte den unwiderstehlichen Wunsch, ihren Körper abzulecken. Ihr Finger glitt nach unten und begann über ihre seidige Muschi zu streichen.

Sie drehte die Dusche auf und richtete den lauwarmen Wasserstrahl auf ihre rosigen Schamlippen. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie ein dickes pralles Glied in ihre heiße, hungrige Liebeshöhle eindrang.

Ihr Körper bebte, aber sie geriet nicht in Ekstase. Sie war allzu sehr mit der Vorbereitung auf den Abend beschäftigt. Lebhafte Träume von Geld ließen ihr keine Ruhe. Sie hatte noch gar keine Ahnung, um welche Summe es gehen würde.

Ein edles Restaurant direkt in der Mitte der Stadt empfing sie freundlich. Die Innenausstattung des prächtigen Lokals war im Stil von Picasso gestaltet. Ein angenehmer, ruhiger Ort. Ihre besondere Aufmerksamkeit erregte die Decke, an der eine vergrößerte Nachbildung des Gemäldes „Schlafende Bauern“ angebracht war.

Die Wahl des Restaurants erfreute sie. Sie interessierte sich schon lange für Kunst und die „verrückten“ Maler hatten es ihr meisten angetan. Sie kannte viele Bilder und deren Titel. Unbeirrt, graziös, mit einem milden Lächeln trat sie in den Saal und suchte nach dem Zuhälter. Der Mann erwartete sie an einem Tisch ganz in der Ecke des Raums. Es schien, als ob er sich absichtlich vor den Menschen versteckte. Sie setzte sich mit einer herausfordernden Drehbewegung der Hüfte. Ihre Augenlider waren halb geschlossen, die Lippen leicht gespitzt. Sie schaute ihm direkt in die Augen.

„So eine Gaunerin! Das kannst du aber gut! Würstchen für Mademoiselle?“, fragte Artschik scherzhaft mit einem Funkeln in den glühenden Äugelein.

„Später… Es ist nicht eilig.“

Während des Abends war Nata ganz auf der Höhe. Sie erzählte dem beschränkten Zuhälter von Kunst und bewunderte seinen feinen Geschmack bei der Auswahl des Restaurants. Er hörte mit Vergnügen die Komplimente. Besonders aus ihrem Mund klangen sie aufrichtig und irgendwie unschuldig. In Wirklichkeit mochte er in diesem Restaurant einzig und allein die Bratkartoffeln. Von der Schmiererei an der Decke hörte er zum ersten Mal. Er hätte nie gedacht, dass dieses Zeug so berühmt war. Aber er war ganz zufrieden mit der Reaktion seiner knusprigen Gesprächspartnerin.

„Ich kann ihr ewig zuhören“, dachte er, aber der Sinn ihrer Rede entging ihm. Er wandte kein Auge von ihren vollen Lippen. Das Luder aß mit Absicht langsam. Natalja verführte ihn, aber mit jeder Minute wurde auch ihre eigene Erregung stärker. Sie hielt es kaum noch aus und schlug impulsiv vor, sich gemeinsam zurückzuziehen. Ohne lange zu überlegen, verlangte er die Rechnung. Das heiße Pärchen verließ das Lokal und ging zum Taxistand.

„Frei?“, fragte Artschik und öffnete die Tür.

„Für Sie immer frei!“, erwiderte der Taxifahrer und blickte mit Interesse auf Natalja. Der Zuhälter war ihm anscheinend bekannt.

„Zu den Zarenbädern, bitte!“

Im Taxi war es warm und gemütlich. Das Mädchen entspannte sich, legte den Kopf auf Artschiks Schulter und begann, sein angeschwollenes Glied mit den Fingern zu streicheln. Dabei steckte sie liebkosend ihre zarte Zunge in sein Ohr.

Das Taxi hielt vor einem schönen Gebäude. Natalja war so erregt, dass ihr Unterleib brannte.

„Komm rein, Süße!“

Als sie das Zimmer betrat, wurde sie überrascht. Dort saßen noch zwei Männer. Etwas erstaunt begriff sie, dass dies eine Art Prüfung ihres verschlagenen Zuhälters war, und beschloss, hier und jetzt die Geldfrage zu besprechen. Artschik las die Frage in ihren Augen und erwiderte sofort, noch bevor sie es schaffte, den Mund aufzutun:

„Für Gruppensex zahlen wir gewöhnlich 300 Dollar, aber weil du neu und keine Professionelle bist, kriegst du 200.“

„Selbst schuld, wenn du immer noch meinst, dass es auf der Welt jemanden gibt, der professioneller ist als ich!“

„Du traust dir ganz schön viel zu! Du bist doch bloß eine einfache Hure! Nimmst du 200, dann zieh dich aus! Wenn nicht, hau ab!“

„Erst zeige ich euch, was guter Sex ist!“, sagte sie mit sicherer, sogar erhobener Stimme und zog sich aus.

Die drei Männer wechselten fliegend die Kondome und stürzten sich auf Natalja, die wie in Agonie verfiel. Sie lutschte ihre Schwänze und steckte sie sich in alle Löcher. So wohl wie jetzt hatte sie sich noch nie gefühlt. Die Männer spürten das und verdrehten die Augen vor Lust. Artschik hatte so was schon lange nicht mehr erlebt, schon gar nicht mit einer käuflichen Frau, einer Nutte. Die Kurtisanen machten ihre Arbeit gewöhnlich halbherzig, nur für Geld. Aber sie! Der liebe Gott selbst hatte sie zu ihm geschickt!

Die Männer schrien in Ekstase: „Oh, Gott, Baby! Du bist megageil!“

Und Natascha überlegte sich währenddessen, bei welcher Bank sie ihre erste Beute einzahlen sollte. Es war doch ein guter Batzen Geld!

Zur damaligen Zeit war es ein ordentlicher Monatslohn für einen Arbeiter, vielleicht sogar zwei.

Sie war sehr zufrieden mit ihrem Triumph und lutschte die Geschlechtsteile der Männer, als ob es Gummibärchen wären.

Nach diesem Abend hatte die Sexbombe keine Geldprobleme mehr. Artschik schleppte seinen Brillanten überall mit wie eine Visitenkarte und ging auf alle Bedingungen ein, die sie bezüglich ihrer unregelmäßigen Arbeitszeiten stellte. Irgendwo im Inneren war er sogar eifersüchtig auf sie wegen die Kunden, aber beruhigte sich damit, dass sie bloß eine einfache, billige Schnalle war wie alle Frauen auf der Welt. In seiner Welt gab es keine anderen Frauen. Natürlich verdarben diese Gedanken die Laune des Zuhälters. Ihm wurde klar, dass dieses Mädchen einem Mann nie ganz gehören konnte.

„Nimmersatte Bestie, getarnt als Kuscheltier! Ich hasse diese Schlampe!“

Natalja ihrerseits wurde verstimmt, wenn sie die Pärchen sah, die eng umschlungen in der Stadt herumspazierten, Eis aßen, die Eisreste mit den Zungen von den Gesichtern schleckten und ansteckend lachten. Sie konnte die Ursache dieser Verstimmung nicht in sich finden. Es war doch alles bestens und problemlos. Sie begriff dieses gemischte Gefühl nicht, das sie nie vorher hatte.

Scheinbar hatte sie doch den Weg zum Glück gefunden! Was brauchte der Mensch überhaupt im Leben? Geld, Sex, Essen und Schlaf! Das alles hatte sie. Trotzdem machte sie etwas traurig, und zwar, dass sie weder Theater noch Kino oder Zirkus besuchte. Sie wollte einfach zu einem Date gehen. Kein bizarres, ausgeklügeltes, sondern ein gewöhnliches, echtes, menschlich fröhliches. Aber natürlich nicht mit einem armen Studenten!

Es fehlte ihr an Zeit für ein herzerwärmendes Vergnügen, und dazu kam noch Saweli, der sie mit seiner aufdringlichen Romantik nervte. Sie mochte keine Spinner, die glaubten, dass eine junge Frau sich tatsächlich in einen alten Mann verlieben konnte. Sie sah ihre Zukunft irgendwo auf den Kanarischen Inseln im warmen Atlantischen Ozean mit einem kühlen Cocktail in der Hand und frischem Obst neben der Liege, mit einem millionenschweren Ehemann an ihrer Seite. Mit bezaubernden, vielversprechenden Plänen ließ sich der Anblick glücklich aussehender, sich küssender Pärchen leichter ertragen. Sie war sich sicher, dass ihr schlichtes Frauenglück noch vor ihr lag, und dieser Gedanke wärmte ihre Seele. Schon im zweiten Studienjahr lag ein hübsches Sümmchen Geld auf ihrem Bankkonto. Sie ging nicht ins Restaurant, kaufte ihre Kleidung in billigen Läden oder auf dem Markt. Sie aß sehr einfach und sparte an allem. Selbst eine Tasse Kaffee in ihrem Lieblingscafé gönnte sie sich sehr selten. Ihre merkwürdige Neigung, Vorräte jeder Art anzulegen, wurde zur Gewohnheit. Im Schrank unter ihren Kleidern, die auf Bügeln hingen, lagerten Graupen, Gries, Grütze und allerlei Konserven. Es schien, als ob sie sich auf den Ausbruch eines Krieges vorbereitete. Eines Tages, bei einem Auftrag, traf Natalja ihre erste Liebe, soweit sie zu diesem Gefühl überhaupt fähig war. Er war hochgewachsen und gemischter Herkunft, wobei der georgische Anteil überwog, was die Form seiner Nase vermuten ließ. Ansonsten war er ein ganz gewöhnlicher Mensch, fast wie ein Russe, aber mit kaukasischem Pfiff. Ihm gehörten drei Privatbanken. Sein stolzes georgisches Profil, ein Anzug von Armani und Schuhe von Dolce & Gabbana verliehen ihm einen edlen Look. Ein paar Schläger begleiteten ihn überall hin und führten alle seine Befehle aus. Das Herz der heißen Braut schmolz beim Anblick dieses Prachtkerls mit einem Haufen Kohle. Dabei war er trotz aller obengenannten Vorteilen ein starker Mann. Er eroberte sie durch seine besondere Überlegenheit und sein wildes, tierisches Wesen. Zum ersten Mal spürte sie eine fremde Macht über sich und fühlte sich wie eine zarte Blume in den starken Pranken eines Tieres. Er bat sie, sich nicht zu bewegen, die Arbeit zu vergessen und abzuschalten. Sie sollte das Ritual der Liebe genießen. Er mochte es nicht, wenn die Frau wie eine Ziege sprang und versuchte, den Mann, der wie ein Klotz liegenblieb, zu befriedigen. Er wollte selbst der Frau Vergnügen bereiten. Er rieb ihren Körper mit unparfümiertem Öl ein, streichelte die prallen Brüste mit den Händen, führte seine Finger in ihre Vagina ein, die voll von süßem Ausfluss war, und ließ sie dann sie seine Hände ablecken. Sie wartete, zählte jede Sekunde, bis zu dem Moment, in dem der schwarze Teufel sein Glied in sie stieß. Aber er bevorzugte lange Vorspiele, besonders mit so einer heißen Frau. Er sah, wie sie die Augen verdrehte und hörte die Schreie, die ihren Orgasmus begleiteten, als er endlich in sie eindrang. Natalja bebte vor Lust, als er die angenehm riechende, ein wenig salzige Flüssigkeit ausströmte. Es war ihr etwas peinlich, aber gleichzeitig sehr wohl zumute. Früher hatte sie nie ein solches Vergnügen erlebt. Neue Gefühle überwältigten sie, trafen sie mitten ins Herz. Und es waren genau jene, auf die sie so sehnlich wartete – warme und echte.

„Was ist das? Hab ich eingepisst?“, fragte sie sich mit Schrecken. Aber Schakro drang stürmisch in sie ein, wieder und wieder. Wassertropfen flogen in alle Richtungen und so hoch, dass sie dann wie ein Platzregen nach unten fielen. Plötzlich fiel ihr auf, dass er ohne Kondom fickte.

„Oh Gott!“

Das war gegen ihre Regeln und gegen die der Firma. Sie hatte keinen Sex ohne Kondom, nur mit Saweli. Erstens, weil sich kein Gummi auf seinen schlaffen Schwanz ziehen ließ, und zweitens, weil sie wusste, dass er noch eine Liebschaft kaum stemmen konnte. Seine Gesundheit hätte es nicht erlaubt, das Herz war zu schwach.

Schakro drehte sie in verschiedene Stellungen, packte kräftig ihren Po, wie eine süße Wassermelone, und machte mit dem Schwanz schmatzende Geräusche, als er ihn ihr nach warmem Sex riechendes Loch schob. Endlich schoß er sein Sperma direkt in ihr Gesicht und schrie:

„Du gehörst mir! Du hörst auf zu arbeiten und ziehst in eine bewachte Mietwohnung ein!“

Natalja lächelte müde und gehorchte. Sie wollte mit ihm leben, wollte genau solch einen Traummann haben!

Aber in diesem Moment konnte sie sich nicht vorstellen, auf was sie sich eingelassen hatte.

Ein paar Tage später mietete er eine Wohnung in der Stadtmitte für sie und versorgte sie mit allem, was notwendig war. Und dieses Notwendige übertraf ihre kühnsten Erwartungen um ein Vielfaches.

Mit Tränen in den Augen und einer tragischen Note in der Stimme erzählte sie Saweli, dass sie sich entschieden hat, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Das sei ein Gesetz Gottes und Ehen würden im Himmel geschlossen, betonte sie.

Zähneknirschend, aber mit edlem Gesichtsausdruck wünschte er ihr viel Glück. Das Mädchen zog aus dem Studentenwohnheim aus. Ihr neues, königliches Leben begann.

Die Freude überwältigte sie. Mit kindlicher Neugier erkundete sie jede Ecke der riesigen Wohnung.

„Oh je! So eine schicke Bude!“, krähte das Vögelchen im goldenen Käfig.

„Das reibe ich euch jetzt allen unter die Nase! Ihr neidischen Schlampen!“

Sie erstellte im Kopf eine Liste ihrer Feinde, die sie einladen würde.

Eine riesengroße Terrasse mit einem Sofa und lilafarbenen Sitzkissen, die Küche mit Bartresen, erst recht die Weingläser, die über der Bar hängen, laden gleich dazu an, sich sinnlos zu betrinken.

„Baby, mach eine Einzugsparty!“

Und an diesem schönen Abend tat sie das. Nach dem Anruf von Schakro, der sagte, dass sein Mädchen heute nicht auf ihn warten sollte, war sie sogar erfreut.

„Geh du ruhig auf Geschäftsreise! Ich werde die Zeit ganz gut allein verbringen. Ich skype mit der Verwandtschaft, gebe mit meinen triumphalen Erfolgen an und trinke jede Menge Wein!“ Die Veränderungen in ihrem Leben heiterten sie auf. Sie stellte sich ein glückliches Familienleben mit dem reichen Banker vor.

„Mein Gott! Unfassbar, so ein Glück! Endlich kann ich sagen, dass ich die Glücklichste von allen bin!“, schrie das Mädchen, hüpfte vor dem Spiegel auf und ab und schnitt Grimassen.

Sie wusste noch nicht, dass es dem Hinterwäldler völlig fernlag, mit ihr zu leben. Sie passte ihm im Bett, es war bequem, diesen Vogel im geschlossenen Käfig zu haben. Er wollte ständig jede Menge Sex mit ihr, und darum sperrte er sie in ein paradiesisches Nest, das keinen Ausgang hatte. Er war nicht verrückt oder krank, er war einfach ein wildes Tier, das nur an sich selbst denkt. Diese Puppe war nichts als ein schönes Extra in seinem Terminkalender – dreimal in der Woche.

Natalja wachte am Morgen mit schrecklichen Kopfschmerzen auf. Im Kühlschrank fand sie eine Dose Bier. Okay, das zuerst, der Kaffee konnte warten. Sie öffnete die kalte Dose, zündete sich eine Zigarette an und wählte die Nummer ihres Liebsten.

„Hallöchen“, sagte sie und zog an der Zigarette.

„Was, du rauchst schon so früh?“, erwiderte er irgendwie rau.

„Na ja, wieso nicht? Bist du schlecht gelaunt, Schatz? Komm einfach schnell nach Hause, ich beruhige deine Nerven.“

„Ich bin ruhig. Schmeiß die Zigaretten weg und mach was Vernünftiges.“

„Wann kommst du?“

„Morgen oder übermorgen, kann's nicht genau sagen. Viel zu tun in der Stadt.“

„In welcher Stadt bist du?“

„In Kiew. Wo denn sonst?“

„Wie in Kiew? Ich habe gedacht, du bist auf Geschäftsreise, verdammt noch mal!“

„Schatzi, denk bitte nicht so viel. So wird es für alle einfacher.“

„Was?“ Komm sofort nach Hause! Ich muss mit dir reden!“

Biep… biep… biep…

„Hallo? Hallo?

So ein Schwein! Legt einfach auf! Läuft in aller Ruhe durch die Stadt! Ohne mich! Wo wohnt er überhaupt? Gute Frage! Warum bin ich nicht früher draufgekommen? Vielleicht ist er verheiratet? Hat einen Stall voll Kinder? Jede Menge Geliebte? Sitzen genauso weggesperrt wie ich, die Doofen. Was bin ich für eine Idiotin! Was habe ich mir alles eingebildet! Was soll ich denn jetzt Mama sagen? Und Saweli, Scheiße… Gut, ich rede mit ihm, wenn er kommt. Dann sehe ich weiter. Also, ich gehe jetzt zur Uni und gucke, was dort Interessantes los ist.“

Als sie abends nach Hause kam, sah sie Schakro auf dem Sofa liegen. Erfreut stürzte sich Natalja auf ihn. Sie vergaß für einen Moment ihre Unterhaltung am Morgen und machte Liebe. Ein Gefühl der Glückseligkeit durchströmte sie.

Danach lagen sie müde im Bett, tranken Sekt mit Erdbeeren und plauderten friedlich. Bei diesem Gespräch erfuhr sie, dass er gar nicht vorhatte, mit ihr zusammen zu leben. Er habe viel zu tun, seine Gewohnheiten seien solcher Art, dass er sie mit niemanden teilen könne. Und es sei nicht sein Stil, voreilige Entscheidungen zu treffen, die sein Leben beeinflussen können. Er bat das Mädchen, etwas abzuwarten, um einander besser kennenzulernen und sich aneinander zu gewöhnen. Er ließ sie hoffen, dass eine Familiengründung in Zukunft möglich wäre. Seine Worte über die große und reine Liebe klangen süß.

Natalja war nicht begeistert von dieser Lösung der Familienfragen. Sie wollte ihren Geliebten überreden, so schnell wie möglich in ein gemeinsames Nestchen umzuziehen. Aber er blieb unbeirrbar und fest in seinen Überzeugungen. Die Schöne musste aufgeben und sich dem starken Geschlecht beugen. Er war schließlich der Mann ihrer Träume!

„Liebst du mich wirklich?“

„Wenn ich dich nicht lieben würde, wäre ich nicht hier.“

„Ich bin sehr glücklich mit dir und will von dir eine Tochter haben!“

In den nächsten Monaten besuchte er sie dreimal in der Woche, brachte ihr Blumen und teure Geschenke mit. Aber über Nacht blieb er selten, und das machte die junge Dame sehr traurig. Sie langweilte sich allein. Sie war doch eine junge Frau und wollte ihr Vergnügen haben. Das ewige Warten machte das Leben unerträglich. Er sagte nie, wann er kommen würde. Wenn sie nicht da war, wartete er einfach in der Wohnung auf sie und ermahnte sie, dass sie zu jeder Tageszeit zu Hause sein sollte, alleine natürlich. So konnte sie selbst nichts in ihrem Leben planen. Sogar eine gewöhnliche Party mit Freunden schien ihr unmöglich.

Natalja beschloss, Artschik anzurufen. Sie wollte ein bisschen plaudern, erfahren, wie es in der „Welt der Unzucht“ so lief, sich ein wenig mit Geschichten über die Huren, ihre perversen Kunden oder einfach Arschlöcher vergnügen. Sie wählte. Ihr Anruf erfreute den Zuhälter so sehr, dass er dem Mädchen vorschlug, nach der letzten Vorlesung vorbeizukommen. Gerne stimmte sie zu. „Ein bisschen Entspannung könnte ich gebrauchen“, dachte sie, befreite weiße Locken von einem Gummiband, legte Haarbüschel auf die Hüften, legte eine Schulter frei und senkte ihren Blusenärmel.

Bei ihrem alten Bekannten angekommen, erzählte sie ihm von ihrem unerträglich langweiligen Leben. Anfangs war es ihr erschienen, als ob alle Träume in Erfüllung gegangen wären, aber aus irgendeinem unverständlichen Grund war alles trotzdem nicht schön. In ihren Träumen sah alles ganz anders aus.

Dabei konnte sie doch selbst gutes Geld selbst verdienen. Aber sie bildete sich ein, verliebt zu sein, und das nicht in irgendeinen Heini, sondern in einen Banker. Artschik hörte ihr aufmerksam zu und strich ihr zart mit einer Hand übers Haar. Die andere steckte er ihr zwischen die Beine und spürte, wie ihr Slip feucht wurde. Das Mädchen atmete schnell und sprach immer langsamer.

„Immer mit der Ruhe, Schatzi“, flüsterte er zärtlich. Er kannte alle Punkte an ihrem Körper, bei denen sie die Beherrschung verlieren würde. Der Verführer kannte diesen traumhaften Körper wie seinen eigenen. Viele berauschende Stunden hatte er beim Studium seines Ideals verbracht und hielt den Launen der Schönen nicht stand. Er saugte sein Genusselixier aus ihr.

Sie verschwand, nachdem sie endlich ihre Befriedigung gefunden hatte. Die Liebe ist das eine, der Sex zum Spaß, wie ihn jede Frau braucht, ist das andere. Man kann nicht jeden Tag sein Lieblingsgericht essen und es dann noch lecker finden.

Das Mädchen gab seinem ehemaligen Zuhälter einen Abschiedskuss und ging nach Hause.

Artschik war begeistert von ihrem Treffen. Endlich kam sein Brillant zurück. Zur Feier seines Sieges schenkte er sich einen Whiskey ein und wählte Schakros Nummer.

Er erzählte von dem unerwarteten Besuch seiner Geliebten, berief sich auf die männliche Solidarität, enthüllte das wahre Gesicht der unverbesserlichen, hinterhältigen Huren, und fast unter Tränen schloss er seine Rede:

„Keine Sorge, mein Freund, ich finde einen angemessenen Ersatz. Tausende Frauen träumen davon, ein Leben zu führen, wie du es für diese Nutte geschaffen hast!“

Schakro schwieg, schlicht und kalt, und spürte eine brennende Wut in sich wachsen. Noch niemand hat ihn je so erniedrigt! Seine männliche Würde war so stark getroffen, dass er dachte, er wäre in diesem Augenblick bereit zu töten.

Als Artschik das Freizeichen hörte, schrie er erschrocken: „Hallo? Hallo?

Drecksack, blöder! Könnte wenigstens danke sagen für so eine wertvolle Info! Ich hätte sie ihm verkaufen sollen! Aber gut! Für die nächste Nutte zahlt er mir das Dreifache! Arschloch!“

Eine Sekunde dachte er an Natalja. Dann straffte er seine Schultern und grinste wie ein fetter Kater. Er vermisste sie, außerdem arbeitete sie besser als alle anderen. Sie verstand es, auch die schmutzigsten Wünsche der Kunden zu befriedigen. Die Hoffnung auf ihre Rücker erregte ihn. Er trat vor den Spiegel und holte sein halb angeschwolles Glied heraus. Er verzog das Gesicht, als wollte er Natalja nachahmen, wie sie noch vor zehn Minuten seine violette Eichel geschluckt hatte.

Natalja öffnete die Tür ihres goldenen Käfigs in bester Laune. Auf einem Bein hüpfend, zog sie ihre Schuhe aus.

Sie hörte ein Geräusch. Ihr Liebster war zu Hause. Das freute sie sehr. Sie lief schnell in die Küche und erstarrte.

Am Tisch saß ihr Schatz mit blutunterlaufenen Augen. Im Nu sprang er vom Stuhl auf, war mit einem Satz neben Natalja und ließ seine Faust auf ihr Gesicht donnern. Sie stürzte zu Boden und schluchzte krampfhaft. Schakro ließ nicht von ihr ab, sondern traktierte er sie mit Fußtritten. Sie versuchte, ihr Gesicht mit den Händen zu schützen, und rief entsetzt um Hilfe. Die Fußtritte hagelten wahllos, es gab keinen Schutz. Seine Schuhspitzen rissen ihr die Haut an den Händen auf und drohten, ihr schönes Gesicht zu entstellen. Als er die offene Wunde an ihrer Schläfe bemerkte, verließ er hastig die Wohnung, befahl aber zuvor seiner Leibwache, einen Arzt zu holen, der sie untersuchen sollte, ohne Fragen zu stellen.

Bald kam ein Arzt. Er war offensichtlich weder russischer noch ukrainischer Herkunft. Er untersuchte das Opfer und sagte verbittert:

„Lieber Himmel! Warum tun die so was? So eine schöne junge Frau! Sie muss ins Krankenhaus“, wandte sich der gütige alte Mann an die Leibwache.

„Behandle sie hier!“

„Das würde ich ja gerne tun, aber es wird nicht klappen. Das Mädchen hat eine Blutung!“

„Wird sie sterben?“

„Im Falle eines starken Blutverlustes ist ein letaler Ausgang nicht ausgeschlossen.“

„Tu, was du kannst. Jetzt. Sorg dafür, dass sie bis heute Abend überlebt, dann kommt sie in eine Privatklinik zu einem Doktor, der mit dem Boss gut bekannt ist.“

„Halt durch, Liebes. Ich gebe dir eine Spritze. Versuch zu schlafen.“

„Lassen Sie mich nicht allein! Ich bitte Sie!“, flüsterte das Mädchen und packte den gütigen Mann am Arm.

„Das kann ich nicht. Entschuldigen Sie. Halten Sie durch. Bald bringt man Sie ins Krankenhaus.“

Er gab ihr die Spritze und verließ die Wohnung, voll Bedauern und Mitleid.

Sie lag in einer Blutlache am Boden und bewegte sich nicht. Ihr ganzes Leben lief vor ihren Augen ab. Sie schloss die Augen vor diesen bitteren Gedanken und aus Angst. Sie wollte das Blut nicht sehen, in dem sie, wie ihr schien, versank, während sie langsam auf der Treppe zum Himmel oder zur Hölle schritt.

Nach einiger Zeit spürte sie, wie starke Hände sie auf eine Trage legten. Alles war wie im Delirium. Infusionen, Spritzen.

Das Mädchen wachte am Morgen mit heftigsten Schmerzen in den Schläfen auf und ihr wurde übel. Es war höllisch, nur dieser Vergleich passte zu der Realität, in der sie sich befand. Ihr Körper war bedeckt mit blauen Flecken und offenen Wunden. Ihr Gesicht schien ein einziger blauer Fleck zu sein. Sie versuchte, sich aufzurichten. Mit Mühe gelang es ihr. Wegen der Kanülen, die in ihren Armen steckten, konnte nicht aus dem Bett steigen. Sie riss sie heraus und stand auf. Ihr wurde schwindlig und sie sank auf den Fußboden. Dann kroch sie zur Tür. Natalja wollte nur eins: nach Hause zu ihrer Mutter und den Verwandten und ein Glas frische Mich trinken. Den Milchgeruch spürte sie so deutlich, als ob die graue Aluminiumkanne mit Milch irgendwo hier in der Nähe stünde. Kniend zerrte sie an den Türgriff. Vergebens, die Tür war von außen abgeschlossen. Sie fühlte sich wie ein Häftling. Vor lauter Verzweiflung und Hilflosigkeit brach sie in Tränen aus. Vor der Tür hörte sie Schritte. Ängstlich wich sie von der Tür zurück, als ob ihr nichts weh täte, und starrte panisch den sich bewegenden Türgriff an.

„Oh Gott!“ Das ist er!“

In einer Sekunde liefen die Ereignisse des gestrigen Abends vor ihren Augen ab. Die Tür ging auf. Ein Mann im weißen Kittel kam mit lächelndem Gesicht herein.

„Sind Sie schon wach, Prinzessin?“

„Wer sind Sie?“

„Ich bin Ihr behandelnder Arzt. Mein Name ist Dmitri Iwanowitsch. Haben Sie keine Angst. Ich tue ihnen nichts Böses.“

„Dann lassen Sie mich hier raus!“, schrie das Mädchen auf. Sie hatte die Wachen im Korridor bereits bemerkt.

„Lassen Sie sich Zeit. Ich würde Ihnen empfehlen, in Ihrer Verfassung nirgendwo hinzugehen. Und stehen Sie bitte vom Fußboden auf“, sagte der Arzt in beruhigendem Ton, als ob er ihr helfen wollte. „Nach der Operation dürfen Sie dort nicht sitzen.“

„Nach was für einer Operation?“

„Leider haben Sie das Kind verloren. Es tut mir sehr leid.“

Ihre Augen wurden rund wie Münzen.

„Was? Haben Sie mir eine Abtreibung gemacht?“

„Ja, es tut mir sehr leid“, wiederholte der Arzt.

„Sie wurden gestern in einem äußerst kritischen Zustand zu uns gebracht, nach dem Angriff einer Straßenbande. Leider konnten wir das Kind nicht retten.“

„Wer hat mich angegriffen?“

„Rowdys. Sie haben Sie auch ausgeraubt.“

„Ah! Alles klar!“ Bastard!“, kam es aus dem Nataljas Mund.

„Was haben Sie gesagt?“, fragte der Doktor verwirrt und beugte sich zu ihr, als ob er sie besser hören wollte.

„Nicht wichtig! Alles in Ordnung!“ Das Mädchen verdeckte ihr Gesicht mit den Händen und schluchzte. Für einen Augenblick dachte sie, es wäre ein Traum.

„Genau! Ich schlafe!“

Sie schüttelte den Kopf, um aufzuwachen. Aber nein, es war kein Traum…

Vier Tage verbrachte Natalja hinter Schloss und Riegel. Erst dann kam sie langsam zu sich und begann, das Geschehe zu begreifen. Die Schuld an dieser verfluchten Liebe gab sie sich selbst. Wie hatte sie sich nur auf diese Scheiße einlassen können? Warum hatte sie sich in diesen sadistischen Kanaken verliebt? Aber während sie so mit sich ins Gericht ging, empfand sie doch etwas Mitleid mit ihm. Ganz sicher war es ihm sehr unangenehm zu erfahren, dass seine zukünftige Frau es mit einem Zuhälter trieb, während er Geld verdiente, um ihre gemeinsame Zukunft zu sichern. Sehr unangenehm, beleidigend und erniedrigend.

„Artschik, du Arschloch!“ Wie konnte er so etwas tun? Sie hatte ihm doch ein ganzes Vermögen eingebracht! Was für eine Grausamkeit! Solche Typen hatten nicht Menschliches an sich! Weder Herz, noch Prinzipien!

Was die Prinzipien anging, hatte sie selbst allerdings auch nichts vorzuweisen. Die Manieren des Schmetterlings waren alles andere als edel.

Einige Tage vergingen. Man legte ihr Dokumente zum Unterschreiben vor. Es war das Protokoll ihrer angeblichen Aussagen über den Raubüberfall einer Straßengang, deren Mitglieder sie nicht hatte sehen könne, da alles nachts passiert und sie zu Tode erschrocken gewesen sei.

Sie unterzeichnete die Unterlagen schweigend. Ihr war klar, dass sie sonst so lange weggesperrt bleiben würde, bis sie sich dem Willen ihres ehemaligen Lebensgefährten beugte.

Der Untersuchungsrichter ging. Die Tür blieb offen. Natalja schaute in den Korridor und sah, dass die Schläger verschwunden waren. Das Gefühl der Freiheit und die emotionale Spannung überwältigten sie.

„Endlich! Ich bin frei! Hurra!

Sie zog sich an und ging hinaus, schlich die ihr völlig unbekannten Straße entlang. Sie wusste nicht, wo sie sich befand, hatte weder Geld noch ein Handy dabei.

„Wo soll ich überhaupt hin? Zu Saweli darf ich nicht, er ist ja verheiratet! Was jetzt? Natalja begann vor Wut zu kochen. Unterwegs schimpfte sie laut schimpfte: „Hat mich ausgesetzt wie einen Hund, ohne meine Sachen und ohne U-Bahnticket! Mistkerl! Stinkiger Armenier-Arsch!“

Sie erreichte eine Bushaltestelle und sah ein Taxi. Sie setzte sich auf den Rücksitz und nannte die Adresse von Artschik.

Gott sei Dank, er war zu Hause. Er bezahlte das Taxi und fragte erstaunt:

„Mein Gott! Schatz, was ist passiert?“

„Halt die Fresse, du Schwuchtel! Du weißt genau, was passiert ist!“, erwiderte Natalja mit gefletschten Zähnen wie eine Wölfin. Sie konnte sich kaum davon zurückhalten, diesen Mistkerl zu beißen.

Er versicherte ihr, er hätte bis gestern Abend nichts gewusst, dann hätte Schakro ihn besucht, ihm gedroht und versucht, ihn zu verprügeln.

„Seine Schläger haben dich aufgespürt, Schatzi! Hast du etwa nicht gemerkt, dass sie dich beschatten? Sie haben jeden deiner Schritte verfolgt vom ersten Tag an, als du aus dem Wohnheim in den Käfig gezogen bist. Hast du nicht kapiert, dass jeder Atemzug von dir aufgezeichnet wird? Ich hätte dir nie etwas Böses getan“, sagte der Schuft liebevoll, „hätte nie deinen kleinen zarten Körper verraten.“ Er zog sie nah zu sich heran und küsste auf die Stirn.

Sie brach in Tränen aus und schmiegte sich an ihn, als ob er ihr nächster Verwandter wäre. Durch die Tränen fragte sie: „Artschik, kann ich wieder bei dir anfangen?“

Diese Worte klangen für ihn wie himmlische Musik. Wie lange hat er darauf gewartet! Dem Himmel sei Dank!

Er schob das Mädchen abrupt von sich und sagte:

„Entschuldige, aber du kannst nicht mehr für mich arbeiten, schon gar nicht so, wie du jetzt aussiehst! Du hast ja zwei Schrammen im Gesicht. Ich habe einen Elite-Escort-Service, keinen Schlupfwinkel für verschrammte Idiotinnen, die Kaukasus-Affen gehen!“

„Wie kannst du so etwas sagen? Die sieht man doch kaum! Und überhaupt, wenn erst die Fäden gezogen sind, merkt man gar nichts mehr davon.“

„Okay. Aber nur, weil du es bist. Eine Andere hätte ich längst rausgeschmissen. Ich weiß noch, wie du gearbeitet hast, und wenn du dich wieder ganz erholt hast, brichst du die alten Rekorde bestimmt noch. Aber bis dahin ziehe ich dir zehn Prozent vom Lohn ab. Die Kunden brauchen frisches Fleisch, kein aufgeschlitztes, halbtotes mit blauen Flecken!“

„Abgemacht! Einverstanden! Danke für alles, mein Schatz! Was hätte ich bloß ohne dich gemacht? Mit meinem ramponierten Körper! Bitte entschuldige, dass ich so schlecht von dir gedacht habe. Natürlich würdest du mich nie verraten! Ich weiß… Wer hätte auch gedacht, dass Schakro alles so gründlich geplant hatte! Ließ mich sogar beschatten! Paranoider Irrer!“

„Kein Problem, Püppchen. Schon gut.“

„Artschik, ich kann nirgendwo hin. Kann ich bitte bei dir wohnen, bis ich das Problem mit der Wohnung gelöst habe?“

„Hmm.“

Es entstand eine Pause.

Die Idee gefiel ihm offensichtlich nicht sehr. Ihn besuchten schließlich oft verschiedene Frauen. Die neuen Mädchen probierte er gleich zu Hause aus. Er betrachtete sie, tastete sie ab, um den richtigen Preis festzusetzen. Bei dieser Arbeit spielte das Aussehen nicht immer die wichtigste Rolle. Unter den Mädchen waren Models, die verschiedenste Schönheitswettbewerbe gewonnen, an Modenschauen teilgenommen und sogar das eine oder andere Magazin-Cover geschmückt hatten, und die doch keiner mehr als ein Mal vögeln wollte. Niemand brauchte diese steifen Holzklötze im Endeffekt, die Kunden klagten über sie und verlangten Ersatz. Deswegen kümmerte sich Artschik höchstpersönlich darum, für seine Ware den richtigen Preis festzulegen. Er suchte Brillanten wie die schöne Natalja. Aber leider gab es davon nicht viele auf dieser Erde.

„Gut, du hast eine Woche, um eine neue Wohnung zu finden. Und ich ziehe von deinem Lohn 100 Dollar ab.“

„Du bist doch ein Arschloch“, sagte Natalja leise.

„Kätzchen, bleib locker!“

„Fick mich, Artschik!“

„Du hast lange keinen Sex gehabt, oder?“

„Das letzte Mal mit dir.“

„Tanzt du, kleine Schlange?“

„Ich habe Angst, dass ich in diesem Zustand von der Stange in deinem Schlafzimmer falle. Ich bin noch nicht zu Kräften gekommen.“

„Machen wir ein Verkleidungsspiel?“

„Willst du mein Doktor sein? Oder der Sanitäter?“

„Der Krankenpfleger, der dir die Wunden leckt? Ich leck dich ganz ab, Kleine!“

Der Sex heilte alle Wunden Nataljas. Artschik hatte ein besonderes Talent für den Cunnilingus. Man hätte ihn mit einer Bulldogge oder einem anderen sabbernden Hund vergleichen können. Sie versank in seinen Liebkosungen und blieb.

Die Zeit verging, das Mädchen erholte sich und vergaß das Geschehene fast ganz. Sie studierte und arbeitete. Sie hatte mit verschiedenen Kunden zu tun, manche waren kompliziert und launisch: alte Perverslinge oder junge Sadomasochisten, die Vergnügen an Peitschenhieben, an Hoden- und Peniseinschnürungen oder am Erwürgen hatten.

Es schien, als ob Artschick Natalja absichtlich zu den Kunden dieser Art schickte, weil sie Narben im Gesicht hatte.

Eines Tages kam sie zu einem Mann namens Slawik. Er arbeitete bei der Präsidialverwaltung. Natalja atmete erleichtert auf. Er sah zwar nicht schön aus, hatte aber ein ganz nettes Gesicht, nicht wie ein Perversling. Der dicke Familienvater fragte die Schöne nach ihrem Leben aus, warum sie sich gerade für diese Arbeit entschieden hatte, und erzählte ihr von vornehmeren Möglichkeiten, Geld zu verdienen.

„Ein redseliger Kauz“, dachte sie, „aber ein sehr netter!“

Sie plauderte gerne mit ihm über die verschiedensten Ideen und Unternehmungen. Irgendwann fragte er sie, ob sie nicht Lust hätte, eine seiner Bekannten mit dem Namen Stella kennenzulernen. Sie sei ein außergewöhnliches Mädchen, eine zielbewusste Persönlichkeit, besitze eine Heiratsvermittlungsagentur in Kiew und studiere außerdem an der Fakultät für Fremdsprachen der Nationalen Linguistischen Universität Kiew.

„So jung, und hat schon eine eigene Agentur?“

„Ja, sie ist ein ungewöhnliches Mädchen. Ich könnte euch zusammenbringen. Damit du dich nicht langweilst, ohne Freundinnen. Vielleicht macht ihr gemeinsam ein Geschäft auf und du kannst aufhören, als Callgirl zu arbeiten.“

Natalja mochte eigentlich keine weiblichen Wesen, schon gar nicht solche, die ihr irgendetwas voraushatten. Aber diese Frau erweckte ihr Interesse, weil sie Zugang zu ausländischen Männern hatte. Also genau das, was Natalja sich so sehr wünschte.

Außerdem organisierte Stella Einsätze im Ausland, in verschiedenen Schweizer Klubs.

Natalja schrieb sich die Telefonnummer auf. Sie wusste nicht, dass diese Nummer der einzigen Freundin gehörte, die sie in ihrem ganzen Leben haben würde.

Ohne lange zu überlegen, rief sie Stella am nächsten Morgen an. Aber anscheinend war diese Dame ständig beschäftigt. Sie verwies auf ihre hohe Arbeitsbelastung und machte einen Termin in einer Woche. An Stellas Stimme hörte Natalja gleich, dass diese ein ganz gerissenes Luder war und dieser Termin nicht zufällig zustande kam.

Einige Tage später, als sie gerade mit Saweli in einem Restaurant war, hörte sie ihr Handy klingeln. Stella rief an. Natalja dachte zuerst, Stella rede Unsinn, als sie ihr eine Arbeit vorschlug, die mit ihrem derzeitigen Gewerbe nicht zu tun hatte. Es handelte sich um eine Arbeit, bei der es eher um Schauspielerei ging und für die ein ziemlich hohes Honorar vorgesehen war.

Natalja stimmte dem Treffen am gleichen Abend gerne zu. Sie entschuldigte sich bei Saweli, der an Streiche seiner Geliebten schon gewöhnt war, und verabschiedete sich mit einem Winken.

Stella war erfüllt von Lebenskraft und Emotionen. Sie strahlte eine unglaubliche Energie aus, war Flut, Sturm und Hagel gleichzeitig. Ihre Augen funkelten wie Sterne. Sie erzählte Natalja die überaus verlockende Geschichte, wie sie in der Heiratsvermittlungsagentur die Ausländer ausnahm.

Der Kern der Sache bestand darin, dass ein Ausländer, der potenzielle Bräutigam, auf der Suche nach einer Frau auf die Webseite von Stellas Agentur ging. Anschließend schrieb er Briefe zu verschiedenen Themen: Kennenlernen, Treffen, gemeinsame Freizeit, Hochzeit usw. Ein Brief an das von ihm ausgewählte Mädchen kostete zwanzig Dollar.

Die Agentur erhielt die Briefe, übersetzte sie ins Russische oder Ukrainische und leitete sie weiter an die Auserwählte. Das Mädchen konnte in ihrer Muttersprache antworten. Diese Antwort wurde dann übersetzt und an den Auftraggeber, den Bräutigam geschickt. Die meisten Einwohner der Ukraine beherrschten keine Fremdsprache. Dieser Umstand ermöglichte es der Agentur, im Geschäft zu bleiben und Steuern zu zahlen. So konnte schon allein der Briefwechsel mehrere Tausend Dollar Gewinn bringen, bis der Mann die Entscheidung traf, das Mädchen persönlich kennenzulernen und zu diesem Zweck in die ukrainische Hauptstadt kam.

„Was für ein Blödsinn! Du hast ein Büro im Stadtzentrum, am Chreschtschatyk. Kann man mit den Briefen denn so viel Kohle verdienen?“

„Hör nur weiter zu! Fragen kannst du hinterher stellen.“

„Okay.“

Der Kern des Geschäfts beruhte keineswegs auf den Briefen. Mit diesen kamen Blumen und Geschenke für die Mädchen – verschiedene Kosmetiksets und Accessoires aller Art. Diese schönen, teuren Sachen wurden in Geschäften gemietet, nur zu dem Zweck, das Mädchen mit dem Geschenk in der Hand bei einem Luftkuss zu fotografieren, um dem Mann zu bestätigen, was sie sich von seinem Geld gekauft hat. Danach nahm der Verkäufer sämtliche Fotorequisiten zurück und erhielt seine Belohnung.

Die Ausländer überwiesen das Geld auf das Konto der Firma und bekamen glänzende Fotos der glücklichen Schönheiten mit Blumen und Geschenken. Natürlich bedankten sie sich beim jeweiligen Bräutigam mit einem Brief, der auf seine Kosten verschickt wurde. So bekam der Mann seine Portion Komplimente im Stil von: „Oh Gott! Was für ein Mann!“

Aber Natalja überraschten die Storys, die diesen Ausländern in der Ukraine passierten.

Bei ihrem Aufenthalt in Kiew erwarteten sie die unglaublichsten Abenteuer und zahlreiche unvorhergesehene Situationen, die Natalja den Atem verschlugen.

Zum Beispiel erfuhr der Ausländer gleich am Flughafen, dass das Mädchen, dem er das ganze Jahr über Briefe geschrieben hatte und das er nun heiraten wollte, aus einer ehrbaren, kirchentreuen Familie stammte, womit er natürlich nicht gerechnet hatte. Natalja schmunzelte.

„Da müsste ich nichts vortäuschen, ich komme tatsächlich aus so einer Familie.“

„Und gehst anschaffen“, stichelte Stella, die eine scharfe Zunge hatte.

„Und du siehst aus wie eine, die sich ganz ehrbar flachlegen lässt, oder?“

„Mein Rollenfach ist die gewöhnliche Gaunerin, keine Nutte.“

„Ich habe jetzt von dir geredet, nicht von deiner Show.“

„Ich rede ausschließlich von der Arbeit. Ich habe nicht vor, über mein Privatleben sprechen, schon gar nicht mit dir.“

Während Stella die Stirn runzelte, zeigte ihr Natalja ihr rosiges Züngchen.

Sie brachen in Gelächter aus. In diesem Augenblick schlossen sie Frieden. Man könnte sogar sagen, dass hier die Beziehung der beiden frischgebackenen Freundinnen entstand.

„Und jetzt erzähl weiter. Was passiert dann? Raus damit!“

„Also, der Ausländer wird von der ganzen Familie empfangen. Der Vater in Popenkutte, Mutter mit Kopftuch und die Tochter als potentielle Braut.“ Manchmal spielte Stella selbst die Rolle der Tochter und der Braut. Wenn nun der Bräutigam einem anderen Glauben angehörte und zum Beispiel Katholik, Protestant oder Jude war, forderten die Eltern der Braut nachdrücklich, dass der Bräutigam seinen Glauben ablegte und ein orthodoxer Christ würde. Die potenziellen Ehegatten erwarteten diese Wendung natürlich nicht. Sie reagierten geschockt und ratlos. Aber wenn man schon da war, was wollte man da machen, es musste eben sein. Besonders, wenn die Braut hübsch und jung war. Was tat man nicht alles für so ein nettes Kind. Die Bräutigame selbst waren meistens 50 oder älter. Mit ihnen gab es wenig Probleme. Die Alten stimmten allem zu, glaubten an Märchen und die wahre Liebe. Aufgedunsene Kinderschänder, Geschiedene oder einfach in ihrer Heimat ausrangierte, gewissenlose alte Arschlöcher. Sie nutzten die schwierige Situation im Land aus und kamen, um schöne zwanzigjährige Mädchen zu heiraten.

Nach dem Empfang im Flughafen lief eine ganze Theateraufführung ab. Stella mietete ein Haus, das das Haus der Eltern darstellen sollte und für die Unterbringung des Bräutigams während seines Aufenthalts vorgesehen war. Es lag weit außerhalb der Stadt, neben einem vergessenen, verfallenen Kirchlein, in dem die armen Ausländer den Glauben wechseln mussten, weil die Eltern auf einer kirchlichen Trauung vor der standesamtlichen bestanden. Um diesen Wunsch der Familie nach religiöser Einigkeit wurde nicht gestritten. Schließlich waren Forderungen dieser Art im Lauf der Kirchengeschichte keine Ausnahme.

Die Firma besorgte dem Bräutigam einen Dolmetscher und, wenn er wollte, einen Leibwächter – gegen angemessene Bezahlung. Auch sie waren Schauspieler und Betrüger.

Alle Teilnehmer der Aufführung begaben sich ins Dorf, um die Hochzeit zu feiern. Zuerst überreichte der Vater seinem angehenden Schwiegersohn ein Gebetbuch auf Englisch oder gegebenenfalls in einer anderen Sprache. Der musste es durchlesen und mit aller Ernsthaftigkeit zum Kern der Sache vorstoßen. Das Beten dauerte ein paar Tagen und alle kirchlichen Regeln wurden eingehalten. Bald verging dem Bräutigam alle Freude. Schlafen musste er ja auch allein und zuvor noch im Gebet versinken. Es war außerdem streng verboten, die Braut vor der Hochzeit zu berühren.

Dabei träumte von nichts anderem als davon, die prallen Titten anzufassen. Der Teufel sollte sie holen, diese verdammten Frömmler! Hätte er das vorher gewusst, hätte er eine andere ausgewählt.

„So ein Reinfall!“, fluchte der Ausländer beim Abendgebet und sein Doppelkinn wabbelte wie Sülze. Dabei wusste der arme Kerl noch gar nicht, dass die Überraschungen in der Ukraine für ihn gerade erst begonnen hatten. Nach der erfolgreichen Konversion fingen die Hochzeitvorbereitungen an. Einladungen wurden an arme Verwandten der Braut geschickt, von denen viele keine Möglichkeit hatten, Flugtickets zu kaufen, um bei der langersehnten Feier dabei zu sein. Das Geld für die Tickets musste natürlich das junge Paar schicken. Das Kleid und das Festessen für hundert Personen, dazu eine Limousine, waren ebenfalls zu bezahlen, achtzig Prozent des Preises sofort als Vorschuss. Die Geldangelegenheiten erledigte die Agentur. Sie hob die erforderlichen Summen vom Bankkonto des Ausländers gegen Unterschrift ab. In puncto Geld vertrauten die Ausländer der Agentur mehr als den zukünftigen Verwandten. Sie dachten, diese seien als Gottesdiener zu weit von weltlichen Sorgen entfernt.

Und so kam der Tag der Hochzeit. Der Brillantring am Finger. Der Bräutigam mit dem Spitznamen „Sülze“ hat sich Viagra besorgt, um die ganze Nacht fit zu sein und der jungen Frau zu beweisen, dass er noch ein ganzer Kerl war. Ein altes Sprichwort lautet: „Mit einem alten Hund hat man sicherste Jagd!“ Wenn er seine Tabletten bekommt, wird er schon wenigstens ein Mal im Monat seine Gattenpflicht erfüllen können.

Natalja saß da wie versteinert, auch wenn sie nicht wusste, warum, und hörte der lebhaften Stella zu. Ihr fiel auf, wie diese das Wort „Gattenpflicht“ aussprach und dabei das Gesicht verzogt und die Nase rümpfte! Es war ihr klar, dass Stella die alten Idioten ohne weiteres bestrafte, und das von ganzem Herzen und mit Eifer.

„Warum sprichst du über dich in der dritten Person?“

„Ich versuche, dir ein Bild der Situation zu vermitteln, und so geht es einfacher.“

„Bisher gefällt mir das alles schon sehr!“

„Also. Die Hochzeit ist jetzt für morgen angesetzt“, setzte Stella ihre unglaubliche Erzählung fort. „Aber es kommt anders! Es stirbt die Mutter der Braut, oder der Vater, die Schwester, der Bruder. Egal wer. Kommt bei einem Autounfall um oder ertrinkt, stirbt bei einem Brand, es spielt keine Rolle.

Trauer! Hochzeit wird abgesagt! Welch ein Kummer! Und zu so einem Zeitpunkt kann doch kein Bräutigam seine Braut im Stich lassen. Da muss man sich um die Beerdigung kümmern, was denn sonst! Die Beerdigung geht auch auf Kosten des Bräutigams, dieses Mal mit Tränen in den Augen aller Verwandten, mit der Bitte, ihnen Geld zu borgen, und Versprechungen wie: ‚Wir schwören, ein Päckchen mit Bündeln voller Geld aus Wladiwostok an Ihre Adresse zu schicken. Ganz bestimmt, irgendwann‘. Der Ausländer stellt gewöhnlich die Bedingung an die Agentur, dass die Hochzeit unbedingt gleich nach dem Begräbnis stattzufinden hat, weil er wieder zur Arbeit muss.

Die Firma stellt ihm ein Dokument aus, in dem seine Forderung vereinbart und niedergeschrieben wird. Er beruhigt sich und beschäftigt sich mit dem Begräbnis.

‚Was habe ich mir da nur eingebrockt!‘, denkt Sülze und weiß nicht, dass er noch nicht alle Geschenke im Rahmen dieses ukrainischen Spektakels bekommen hat.

Währenddessen werden im Theater die Leidenschaften angefacht. Stella bestellt einen Sarg. Gewöhnlich ist er geschlossen. Das wird damit erklärt, dass die Leiche verstümmelt und die zerfetzten Fleischstücke nicht schön anzuschauen wären. Bei diesen Worten gefriert Sülze das Blut in den Adern. Er ist überaus froh, dass der Sarg geschlossen ist.“ So war es möglich, eine Kiste mit oder noch besser ohne Ziegelsteine zu begraben, denn die Dorfalkis, die die Verwandten der Braut aus Nowosibirsk oder Wladiwostok spielten, die auf Kosten des Bräutigams zur Hochzeit gekommen waren, hatten in der Regel nicht genug Kraft, um einen Sarg mit Ziegelsteinen hochzuheben. Das hätte die tadellos durchdachte Aufführung der talentierten Regisseurin vollkommen ruinieren können!

Wowan, der Friedhofswächter, hielt immer ein Erdloch für das Begräbnis parat. Dafür bekam er ein Honorar, das aus drei Kisten Schnaps für ihn und ein paar Tüten Süßigkeiten für seine Kinder bestand. Und Blumen für seine Frau konnte er, sobald die Zeremonie vorbei war, ganz nach Geschmack auswählen, bitte sehr! Frische Blumen! Er hatte überhaupt nichts dagegen, eines guten Menschen zu gedenken. Nur die angeheuerten Klageweiber nervten ihn. Sie brachten den sensiblen, besoffenen Wowan jedes Mal fast zum Herzinfarkt.

„Ja, ich weiß doch, dass ihr Betrügerinnen seid! Abzockerinnen! Und dass der Sarg leer ist! Die Weiber heulen aber so bitterlich zur Musik, dass mir selber ohne Ende die Tränen kommen! Ich versteh gar nicht, warum. Ich bin wohl zu empfindlich geworden auf meine alten Tage.

„Du solltest nicht so viel trinken, Onkel Wowa!“, lachte Stella.

„Wie nicht so viel trinken? Ihr macht doch hier die üppigen Gelage! Die Tische sind übervoll. Töchterchen, bitte! Lad diese unerträglichen alten Weiber nicht mehr ein“, flehte Wowan sie an. „Für eine Kiste Wodka heule ich dir selber wie ein Wolf, zwei Stunden am Stück, wenn es sein muss! Schau, euer Amerikaner, der vorige Bräutigam, hat lauthals geweint. Ihr habt sogar diesen zwei Meter hohen Kampfstier fertiggemacht!“

„Hahaha!

Geh nach Hause, du bist schon ganz blau! Laberst Unsinn! Deck morgen das Erdloch ab, dass es niemand sieht.“

„Wer soll das sehen? Das ganze Dorf feiert morgen bei eurem Begräbnis! Sie wachen erst nächste Woche wieder auf.“

„Hahaha!“, lachte Natalja. Sie hörte Stella gespannt zu. Sie sah in ihr einen starken Menschen, der vor nichts Angst hatte und kämpferisch durchs Leben ging. Sie verdiente ihr Geld als Gaunerin und nicht als Nutte. Sie hatte keine ausgeprägte Sexualität. Die spitze Habichtsnase bezeugte ihren unerschütterlichen Charakter. Helles Haar, direkter Blick, schöne große, braune Augen und ein schlanker Körper.

Unwillkürlich dachte Natalja: „Was findet er an ihr, dieser Slawik aus der Präsidentenadministration? Er sprach von ihr mit so viel Begeisterung und Respekt.“

Die beiden Mädchen saßen sich gegenüber und begriffen, dass sie sich gegenseitig ergänzen könnten. In ihrem Inneren erkannten sie, dass dies eine schicksalhafte Begegnung für sie beide war. Sie waren absolut unterschiedliche und doch vollkommen gleich eiskalte Luder.

„Und was passiert dem Ausländer als nächstes?“, fragte Natalja. Sie brannte darauf, auch den Rest zu hören.

„Nach der Beerdigung gehen alle zum Bräutigam schlafen. Nachts kommt eine Prostituierte, angeblich um mit ihm zu reden, und verführt ihn im Schlafzimmer. Die Nutte spielt, sagen wir mal, die Rolle einer unverheirateten Cousine der Braut. Laut Textbuch versucht sie bereits beim Begräbnis, mit Sülze zu flirten. Bei ihren üppigen Kurven schmilzt er dahin. Später am Abend kommt die Braut plötzlich herein, um ihrem Geliebten gute Nacht zu sagen und ertappt ihn mit der nackten Cousine. Der treulose Möchtegern-Ehemann bekommt seine wohlverdiente Ohrfeige. Allerdings darf man sie nicht zu fest schlagen. Die Armen haben schon genug Angst vor den unsrigen. Der Bräutigam darf uns nicht ins Gras beißen. Gott bewahre, dann müssten wir doch noch einen echten Toten begraben! Im Endeffekt ist die Braut geschockt, hat einen Nervenzusammenbruch. In diesem Fall braucht sie dann von ihm unbedingt noch eine Kurreise nach Truskawez, für mindestens drei Wochen. Um die Nerven ein wenig zu regenerieren.“

Natalja hielt sich den Bauch vor Lachen.

„Du, Stella, nicht einmal die vom Bolschoi-Theater machen dir Konkurrenz!“

„Ich bin keine talentierte Schauspielerin, ich bin Dramaturgin… In solchen Fällen ist die Agentur nicht verpflichtet, dem Bräutigam sein Geld zu erstatten. Der Typ wird zum Flughafen begleitet und muss ledig nach Hause fliegen. Natürlich ist er empört und droht der Agenturdirektorin, sie zu verklagen. ‚Verfluchte Deppen! Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass sie aus einer Idiotenfamilie stammt?‘

‚Sie wollten ein Mädchen aus einer anständigen Nichttrinkerfamilie kennenlernen! Entsprachen die Gottesdiener etwa nicht Ihren Anforderungen?‘

‚Mal haben sie Feier, mal ein Begräbnis! Wofür habe ich eigentlich bezahlt? Und was jetzt?‘

‚Laut Aussage der Verwandten, haben Sie Ihre Auswahl zugunsten der Cousine der Braut geändert. Die Braut musste einen Psychiater aufsuchen. Sie haben ihr ein schweres seelisches Trauma zugefügt. Die Genesung wird lange dauern. Seien Sie froh, dass sie mit Ihnen nichts zu tun haben will und sie nicht vor Gericht verklagt hat, wie es die Verwandten der vor dem Altar verlassenen Märtyrerin ohne Zweifel wünschen.‘

‚Was sagen Sie? Märtyrerin? Ich habe dieser frommen Schlampe und ihren bettelarmen Verwandten Kleidung und Schuhe gekauft! Einige von ihnen betteln mich jeden Morgen um Geld an!‘

‚Diese verdammten hirnlosen Dorfalkis! Die kriegen auch nie genug!‘, dachte die Agenturdirektorin, sagte aber kein Wort.

‚Es tut mir sehr leid, aber Ihre Schuld ist offensichtlich, deshalb steht Ihnen keine Rückzahlung zu. Apropos: Sie können den Kontakt zu der nackten Person, die in Ihrem Zimmer angetroffen wurde, weiter pflegen. Wir bieten Ihnen die Dienstleistungen unserer Agentur auch zu diesem Zweck an.‘

‚Oh no! Thanks! Ich habe die Nase voll von Ihren anständigen Prostituierten! Sie ist schnurstracks nackt in mein Schlafzimmer gekommen! Gotteslästerin!‘

‚Augenzeugen berichten, Sie wären gar nicht abgeneigt gewesen, diese Gotteslästerin in Ihrem Schlafzimmer zu sehen, eher im Gegenteil… hm. Sie hätten sie ja aus Ihrem Schlafzimmer werfen und sich bei Hochwürden über das verirrte Schaf beschweren können. Der hätte sie ordentlich verprügelt.‘

‚Solche Schäfchen wirft man nicht aus dem Schlafzimmer!‘, lächelt Sülze über das ganze Gesicht voll künstlicher Zähne, als in seinem Gedächtnis jene verhängnisvolle Nacht aufscheint, die seine einzige angenehme Erinnerung an diese Reise auf der Suche nach reiner Liebe darstellt.

‚Da Sie selbst zugeben, dass Sie der Unzucht und der Untreue schuldig sind, können Sie keinerlei Ansprüche gegenüber unserer Agentur erheben. Außerdem wurden alle diese Punkte vertraglich vereinbart und von Ihnen persönlich unterzeichnet. Nicht wahr?‘

‚Ich weiß nicht mehr, was da stand. Sobald ich in den USA lande, zeige ich Ihre Dokumente meinem Rechtsanwalt!‘

‚Gut, Mister Cloud. Ich wünsche ihnen einen angenehmen Flug.

‘Auf Wiederhören.‘“

„Ihr seid wirklich unglaublich!“, schrie Natalja. „Es war echt super! Als ob ich mit dir einen Krimi geschaut hätte! Einfach toll!“

„Und das war nur einer von mehreren Fällen. Die Aufführungen sind immer unterschiedlich, werden für jedes einzelne Opfer extra entwickelt. Wir untersuchen Gewohnheiten, Horoskop, Hobbys und Charakter im Laufe seines Briefwechsels mit der Braut.“

„Du bist eine wahre Psychologin, verdammt! Bravo!“

„Danke.“ Stella lächelte nett. Aufmerksam betrachtete sie die ideale Kandidatin für ihren nächsten genialen Plan, die ihr gerade gegenübersaß.

Stella war eine gute Menschenkennerin, deswegen weihte sie Natalja in ihre hinterhältigen Spiele ein. Es fehlte ihr eine kluge professionelle Nutte an ihrer Seite. Lange hatte sie eine berechnende Nymphomanin gesucht, denn diese sind sehr selten anzutreffen. Mädchen, die der Prostitution nachgehen, zeichen sich oft nicht durch Intelligenz aus. Mit einer wie Natalja dagegen ließ sich jede Sache flott und raffiniert deichseln. Für den vollen Erfolg fehlte Stella die erforderliche Hemmungslosigkeit in Beziehungen mit Männern. Im Unterschied zu Natalja hatte sie keine Affären. Vielleicht wollte sie tief im Innersten welche haben, aber die Männer reagierten anders auf sie. Sie verwickelten Stella in längere Liebesbeziehungen, die zur Familiengründung führen sollten. Stella brauchte genau diese Art von Partnerin, keine ordinäre Straßenschlampe. Sie erkannte in Natalja sofort jene Züge, die Männer anlockten, und die sie selbst nicht hatte.

Stella war von der Krim zum Studium nach Kiew gekommen, genau wie Natalja. Zuerst wohnte sie in einem Studentenwohnheim, später zog sie zusammen mit ihrer Freundin aus dem Kinderheim Olja in eine Mietwohnung. Gemeinsam betrieben sie dubiose Geschäfte.

In Stellas Umgebung waren immer viele Jungen, aber die betrachteten sie eher als Kumpel oder Kameraden. Sie war eine freche Göre. Die Jungen hatten Respekt vor ihr und hörten auf ihre Meinung wie auf eine Führungsperson. Sie hielt Wort wie ein Junge und folgte harten, gerechten Lebensgrundsätzen, sowohl in der Freundschaft als auch in der Liebe. Deshalb konnte sie nicht viele ihrer eigenen Schranken übertreten, die das Leben und erst recht das Überleben eigentlich nur komplizierter machten.

Natalja zum Beispiel war sich sicher, dass jeder Mann auf dem Weg durch das Bett zu kriegen ist. Stella dagegen benutzte andere Tricks, um hochwertige Männer in die Finger zu bekommen. Sie drückte sich klar und redegewandt aus, schaute den Männern direkt in die Augen, sagte in einfachen, gut verständlichen Sätzen, was sie brauchte und wie sie sich ihr Ideal vorstellte.

Die Männer verfingen sich leicht in ihrem Netz, wie unter Hypnose. Sie sahen in ihr eine Seelenverwandte, die unkompliziert und ungezwungen war. Sie erfüllten alle ihre Wünsche, trugen sie auf Händen. Dieses Mädchen besaß eine unglaubliche Macht über Männer. Viele von ihnen litten nach der Trennung mit ihr so schwer, dass sie jahrelang keinen Ersatz finden konnten.

Bald wurde aus Freundschaft und gemeinsamem Geschäft ein Duell zweier heimtückischer Persönlichkeiten. Natalja beneidete Stella darum, dass die Männer sie fast wie eine Königin behandelten. Sie dagegen wollten alle gleich flachlegen. Von Eifersucht und Neid erfüllt, versuchte sie, alle Männer in Stellas Umfeld durchzuficken, als ob sie der Freundin ihre Überlegenheit beweisen wollte. Stella ärgerte sich natürlich, zeigte es aber nicht, sondern blieb kalt und beobachtete schweigend die Geschehnisse. „Ein Mann, der den Reizen dieser Schnalle nicht standhalten kann, ist bestimmt nicht mein Mann“, redete sich Stella ein. Ihre Lebenseinstellung war idealistisch und ihr Mann sollte treu und würdig sein. Wenn nicht, wollte sie lieber alleine bleiben. Besser allein, als mit dem nächsten Besten zusammen sein. Es wäre unerträglich, jeden Augenblick nur den einen Gedanken im Kopf zu haben: „Hat mein lieber Ehemann vielleicht irgendwo unterwegs eine sexgierige Nymphomanin getroffen, die mein Familienidyll zur Hölle machen wird? Einen Ehebruch könnte ich einfach nicht verzeihen, niemandem, niemals. Aber meinen Mann beschatten will ich auch nicht. Das ist schäbig, das machen nur Feiglinge.“

Natürlich verbarg Stella, dass Nataljas Verhalten sie kränkte, und äußerte keine Ansprüche an Natalja. Sie wusste, dass diese nur darauf wartete, dass sie aufgab, wütend wurde und ihr alles ins Gesicht sagte. Stella wollte Natalja blamieren. Dafür war sie bereit, alles zu tun, sogar zuzugeben, dass sie einem Vergleich mit Freundin nicht standhalten würde. Sie war der Meinung, dass nur ein starker Mensch seine Schwäche zugeben kann.

Einmal versuchte sie, Kleider mit größerem Ausschnitt zu tragen, obwohl sie sich darin unwohl fühlte. Doch ihr Charakter setzte sich durch. Stella wurde schnell wieder sie selbst. Sie lernte, diese für sie so beleidigende Situation auszunutzen. Sie brachte jeden Typen, der mit ihr ausgehen wollte, zu Natalja.

Sie tat so, als ob sie bei einer Freundin kurz vorbeischauen müsste, um etwas zu holen. Sie hätte am Tag zuvor ihre Sachen dort liegen lassen. Sie hatte es satt, von Menschen enttäuscht zu werden und darunter leiden zu müssen. Stella entschloss sich, die Männer gleich sozusagen auf Zuverlässigkeit zu prüfen, bevor eine Bindung mit ihnen entstand, und brachte sie direkt zu Nata. Kaum jemand konnte ihr widerstehen, deshalb fing Stella an, Leute auszusuchen, die sie für sich und ihr Geschäft gebrauchen könnte. Zum Beispiel den Besitzer eines Autohauses, der sie um ein Date bat. Schnell fand er sich in den Armen der Verführerin, oder besser gesagt, im Maul des Hais. Dieser Einsatz half Stella aber sehr beim Autokauf. Danach fühlten sich die Männer schuldig ihr gegenüber und halfen ihr danach bei allem. Stella mit ihrem analytischen Verstand war damit zufrieden, und manchmal machte es ihr sogar Spaß. Natalja dagegen war überrascht, dass ihre Freundin so viele gutaussehende Verehrer hatte, die außerdem aus guten und wohlhabenden Familien stammten. Als ein weiterer süßer Junge mit Stella vor ihrer Tür stand, lächelte sie über das ganze Gesicht und bat die beiden auf ein Glas Sekt herein. Etwas später fand Stella einen Grund, für eine Weile fortzugehen, und ließ den Jungen allein mit ihrer geilen Freundin. Je länger diese Weile dauerte, desto besser. Jedes Mal gab es eine Überraschung für sie. Ein Typ zum Beispiel lag splitternackt auf Natalja, den Pimmel an Ort und Stelle, als Stella zurückkam. Danach besaß er noch die Frechheit, Stella nachzurennen und sie um Verzeihung zu bitten. Dabei rechtfertigte er sich damit, dass er es mit dem Alkohol übertrieben habe. Es war für Stella wie für jede andere Frau sehr unangenehm und kränkend, aber auf diese Weise konnte sie Zeit sparen und die Idioten gleich aussieben.

Für all diese Leiden wurde sie durch einen interessanten Fall entschädigt. Stella lernte einen jungen Mann namens Sergej kennen. Sie mochte ihn so gern, dass sie sich nicht dazu durchringen konnte, ihn zu Natalja, dem ausgekochten Luder, zum Testen zu bringen.

Bald schöpfte Natalja Verdacht, dass Stella jemanden hatte. Sie überschüttete die Freundin mit Fragen:

„Stella! Du verhältst dich irgendwie merkwürdig! Da stimmt doch etwas nicht!“

„Wie kommst du denn darauf? Ich habe einfach geschäftlich viel zu tun.“

„Ja, ja! Alte Märchentante!“

„Was willst du denn? Langweilst du dich oder was?“

„Oh nein! Mit einer Freundin wie dir langweile ich mich doch nie!“

„Dann ist doch alles bestens.“

Eines schönen Morgens brauchte Natalja dringend den Büroschlüssel.

Sie rief Stella an und diese nannte im Halbschlaf die Adresse, wo sie gerade war.

„Was ist das denn für eine Adresse?“

„Von Sergej.“

„Aha! Jetzt hab ich dich! Ich wusste doch, dass du mir etwas verbirgst!“

Das Treffen mit der Freundin verhieß für Stella nichts Gutes. Natalja stürmte wie eine Furie in das Haus und betrachtete den Burschen wie ein Stück frisches Fleisch. Stella wollte ihn unwillkürlich schützend an ihren Busen drücken. Sergej begrüßte den Gast und bot eine Tasse Kaffee an. Ohne den Blick von ihm zu wenden, leerte Natalja auf einen Zug eine Tasse Espresso, nahm die Schlüssel und fuhr wieder weg. Stella wurde schwer ums Herz. Der letzte Rest ihrer Seelenruhe verließ sie, als sie sich vorstellte, wie die beiden zusammen im Bett lagen und einander liebkosten.

„Stella? Stella?“, hörte sie eine Stimme. Sie klang, als ob der Sprecher sehr weit weg wäre.

„Was?“

„Bist du in Ordnung? Du starrst die Wand an und bist ganz grün geworden!“

„Ich? Grün geworden? Wo?“

„Na ja, blass-grün. Du bist doch nicht etwa schwanger?“ Mit kindischem Lächeln und Grübchen in den Wangen schaute Sergej ihr aus drei Zentimetern Entfernung direkt in die Augen.

„Ich hoffe nicht“, antwortete Stella kalt.

„Warum nicht?“ Er rückte beiseite, als ob sie ihn mit kaltem Wasser begossen hätte. Seine Frage klang still und enttäuscht. Er hat keine solche Antwort erwartet.

Stella strömten die Tränen aus den Augen wie ein Platzregen.

„Weil ich keine alleinerziehende Mutter sein will!“, schrie sie. Ihre Wangen waren schwarz vor verschwommener Wimperntusche.

„Was redest du da? Was ist los mit dir?“

„Ihr seid doch alle abgefuckte untreue Schweinehunde! Sobald ihr einen geilen Arsch seht, vergesst alles um euch herum!“

„Halt den Mund! Du bist ja hysterisch!“

Stella rannte aus dem Haus. Wie sie am helllichten Tag mitten auf der Straße so bitterlich weinte, wurden unweigerlich Passanten auf sie aufmerksam. Einige fragten, ob sie Hilfe bräuchte, andere zeigten ihr einen Vogel, wieder andere schlugen vor, psychiatrische Hilfe zu holen.

„Die Leute wieder! Jeder weiß was zu sagen!“

Sie schämte sich sehr für ihr Verhalten, für diese Reaktion. Dabei brach in diesem Augenblick die ganze Bitterkeit aus ihr heraus, die sich in der Zeit angehäuft hatte, als sie vorgab, dass alles in Ordnung wäre, und sich zwang, die entstandene Situation auszunutzen, nur um sich irgendwie zu beruhigen. Aber gerade ihn wollte sie nicht testen! Sie wünschte, sie könnte sich mit ihm vor ihrer verfaulten Welt verstecken…

Nach dem, was geschehen war, trafen sich Sergej und Stella nicht wieder und telefonierten nicht einmal mehr miteinander. Was hatte sie sich da wieder für ein Zeug vorgestellt! „Mit wem und wo? Und wie? Und warum?“ Ihr Gedankengang wurde unterbrochen. Ihr Handy meldete sich mit dem Spruch: „Was für eine hässliche Fresse“, dem Filmzitat, das sie Sergejs Nummer als Klingelton zugewiesen hatte. Sie blickte kalt auf das Handy und wartete eine Weile, bevor sie annahm:

„Hallo!“

Seine kalte Stimme am Apparat machte sie nervös.

„Kannst du jetzt zu mir kommen?“

„Ist was passiert?“

„Nicht am Telefon. Ich muss persönlich mit dir reden. Diese Freundin von dir ist übrigens hier.“

Stella legte auf.

„Oh Gott! Nicht das, bitte!“ Das Herz blieb ihr fast stehen. Hatte Natalja ihn doch in die Finger gekriegt? Es war ein Schlag ins Gesicht! So eine Hure!

Sie rief schnell ein Taxi. Eigentlich hätte sie vom Büro aus zu Fuß zu seinem Haus gehen können, aber sie zitterte viel zu sehr. Sie war außer sich vor Wut.

„Ich bring die Schlampe um! Ich habe sie zu dem gemacht, was sie ist, sie von der Straße geholt, diese dreckige Hure, und ich bringe sie um! Dieses Mal schweige ich nicht, und ihn mache ich auch kalt!“

Das alles murmelte Stella vor sich hin und setzte sich auf den Rücksitz des Taxis. Die Adresse des Bastards nannte sie dagegen fast schreiend. Nach einer Minute bat sie den Taxifahrer anzuhalten. Sie wollte aussteigen, nicht zu Sergeij fahren, dieses erniedrigende Spektakel nicht sehen. Ganz sicher hatte Natalja ihn schon gefickt und ihn dazu gebracht, sie anzurufen, um alles zu gestehen wie ein anständiger Mensch. Sie wusste sogar, wie diese Schlange ihn bearbeitet hatte:

„Mein Gott! Was haben wir getan? Arme Stella! Wir müssen ihr gemeinsam die Wahrheit sagen. Sie wird es nicht gern hören, aber wir müssen ehrlich zu ihr sein. Ruf sie sofort an!“ Stella stellte sich das Gesicht ihrer Freundin vor, das vor Freude strahlte. Ein wahrer Triumph, neuer Sieg über die hochnäsige Eiskönigin, die niemand will.

Stella dachte zehn Minuten nach und beruhigte sich etwas. Sie begann die Situation nüchtern zu analysieren.

„Woran ist Natalja eigentlich schuld? Daran, dass die Männer Scheiße sind? Und dass sie dafür den lebenden Beweis hat? Ein Beweis aus dem realen Leben! Nicht aus dem Leben, wie es in schönen Romanen beschrieben wird, sondern aus dem wirklichen Leben, an das man nicht glauben will, das man idealisiert, um nicht verrückt zu werden.“ Stella dachte, dass sie nie einen Mann finden würde, der ihrer Lebenseinstellung entsprach. Sie wollte keinen Märchenprinzen auf einem weißen Ross. Heute waren sie sowieso alle eher auf Weißwein. Entweder war einer ein Depp oder ein Alki. Sie brauchte einen ergebenen, guten Mann. Wie jede Frau wollte sie geliebt werden, wollte die einzige sein und ihrerseits nur einem Mann gehören. Sie hoffte doch, dass sie etwas Besseres war als ein Callgirl. Irgendjemand würde ihre guten, aber leider verborgenen Eigenschaften schon noch erkennen. Aber anscheinend interessierten sich die Männer nur für weibliche Genitalien.

Stella versuchte ihr Herz in den Griff zu bekommen, als sie mit verschwitzter Hand auf den Klingelknopf drückte und ein kaltes Gesicht aufsetzte, um vor seiner Tür auf die Hinrichtung ihrer Seele zu warten. Sie zitterte. Der Hass auf diesen Mann erfüllte sie.

Sergej öffnete die Tür, sie ging hinein. Erhobenen Hauptes, ohne die Schuhe auszuziehen, schritt sie ins Gästezimmer und schrie:

„Hallo Natalja! Wo bist du?

Keine Antwort. Dann drehte sie sich um und warf dem Mann einen so brennenden Blick zu, dass er einen Schritt zurück machte und flüsterte:

„Sie ist im Schlafzimmer.“

In diesem Moment verpasste ihre Hand ihm automatisch eine Ohrfeige, die so gewichtig und saftig war, dass die Handfläche rot wurde und die Fingerspitzen prickelte.

Mit kleinen Schritten ging sie ins Schlafzimmer und sah dort ihre völlig nackte, betrunkene Freundin auf dem Boden sitzen. Sie war mit Handschellen an den Heizkörper gefesselt. Daneben standen eine fast leere Flasche Wodka und ein Glas. Natalja hob den Kopf und zischte mit kaum beweglicher Zunge wie eine Schlange:

„Stella, ich hasse dich.“

Stella begann, fieberhaft zu lachen, sei es wegen dieses Anblicks oder wegen der Erkenntnis, dass sie nach so langer Zeit und so vielen Enttäuschungen diese auf männliche Genitalien versessene Kreatur endlich in die Enge getrieben hatte. Und dazu noch mit so einer Schmach!

Nach diesem Zwischenfall wurde Stella selbstbewusst. Sie war sich nun sicher, dass Nata für sie keine Rivalin war, in keinerlei Hinsicht. Und dass sie ihr Leben sie auf ihrem eigenen Weg führte. Aber Natalja kam nicht zur Ruhe. Diese Geschichte erbitterte sie gegen Stella. Sie achtete darauf, was diese trug, wie sie sich Männern gegenüber verhielt. Natalja fing an, sie teilweise zu kopieren und sich Markenkleidung zu kaufen, vor allem in Pastellfarben. Stella hatte nicht so viel anzuziehen: einige Blusen, Hosen und Röcke, aber alles von Designern. Natalja trug dagegen mit Vorliebe bunte Klamotten und viele davon, dazu vor allem Slips in grellen Farben.

So begann ein neuer Abschnitt in Nataljas Leben. Prostitution und Betrug unter Stellas Leitung brachten ihr gutes Geld. Natalja selbst glaubte freilich, sie wäre die Chefin in diesem Geschäft. Stella lernte, Natalja perfekt zu manipulieren. Dabei ließ sie ihr volle Handlungsfreiheit. Die trivialen Wünsche der Freundin nach Sex und Geld verstand Stella gut. Deshalb war es nicht schwer, sie zu lenken. Stella wollte, dass Natalja Sex nach Stundenplan im Rahmen eines Geschäfts mit dem Titel „Besuch des Ausländers“ hatte und dafür ein Honorar in entsprechender Höhe erhielt. So waren beide zufrieden. Endlich hatten die Mädchen einen Mittelweg in ihrer Beziehung gefunden. Hand in Hand gingen sie einem Ziel entgegen. Dieses Ziel hieß Kohle.

Natalja war von dem neuen Hobby sehr begeistert. Sie nahm gern an den Theateraufführungen und dabei im Gespräch mit den Kunden auch noch ihre Sprachkenntnisse zu erweitern. Sie begann sogar einen Liebesbriefwechsel mit einem Franzosen, der in Genf in der französischsprachigen Schweiz in Genf wohnte. Um genau zu sein war seine Mutter Französin und der Vater war Iraner. Der hochgewachsene, gutaussehende, schwarzhaarige Mann besuchte Natalja oft. Sie versteckte ihn vor der aufdringlichen Stella, damit diese ihm kein amüsantes Spektakel vorführte, wie sie es bei ihren Kunden tat, mit Beerdigung, Hochzeit und ähnlichem. Sie erinnerte sich noch an einen lustigen Vorfall.

Bei einer der Aufführungen von Stellas Theatertruppe kam die Schauspielerin nicht, die die Mutter der Braut darstellen sollte. Natalja spielte die Braut, Stella deren Schwester. Die Hochzeit war gefälscht. Die Namen waren geändert worden. Die Gäste und selbst das Standesamt mitsamt der ganzen Zeremonie waren Teil der Aufführung, die Stella klug durchdacht hatte.

Für alles zahlte natürlich der Bräutigam aus der Schweiz. Es wurde angeblich als Geschenk für die Schwester seiner zukünftigen Ehefrau arrangiert. Die Hochzeit kostete 10.000 Dollar. Natürlich stimmte er nur widerstrebend zu, denn anfangs war nur von ein paar Tausend die Rede. Aber ihre armen Verwandten! Da blieb ihm nichts anderes übrig. Was tut man nicht alles für die Liebste, wenn sie bittet.

„Wo ist denn Ihre Mutter?“, fragte der Schweizer verwirrt.

„Sie ist wohl aufgehalten worden, oder sie ist so aufgeregt, dass ihr schlecht geworden ist. Ich schaue mal zu Hause nach.“

„Verdammt! Wo ist die blöde Kuh?“, sagte Stella Natalja ins Ohr. Vielleicht wollte sie, dass niemand sie hörte.

„Ich weiß nicht. Einfach abgehauen. Sie will wohl nicht unsere Mama spielen.“

„So eine Schlampe! Gerade vor der Unterschrift! Bestes Timing! Was jetzt? Wir müssen eine andere finden! Der Bräutigam hat sie noch nicht gesehen. Also kann es irgendjemand sein. Such! Schnell!“ Egal wo! Ich unterhalte inzwischen die Leute.“

Natalja rannte los, ihre Mutter suchen. Sie bot den ersten besten Frauen auf der Straße Geld an und bat sie, für ein paar Stunden ihre Mutter zu spielen. Aber es war gar nicht so einfach. Die Frauen wichen vor ihr zurück wie vor einer Wahnsinnigen. In einer Unterführung sah sie eine Bettlerin. Sofort lief sie zu ihr und erzählte, was sie vorhatte.

Die Frau öffnete vor Überraschung den Mund, aus dem es nach Aas roch. Natalja trat einen Schritt zurück und befahl:

„Mutter, mach dich bereit!“

Als sie den Betrag nannte, den die Bettlerin erwarten könnte, vergaß diese alle Zweifel und folgte schleunigst der schönen Tochter.

„Stella bringt mich um für so eine Mutter!“, sagte Nata laut ohne Rücksicht auf die Passanten. Was jetzt? Sie schaute auf die Uhr und beschloss, das Mütterchen in der nächsten Boutique aufzupeppen. Ein Kleid musste her! Man war ja nicht jede Woche Brautmutter!

Nach einer Stunde brachte sie die Pennerin mit gelben Fingernägeln und faulen Zähnen, ausstaffiert mit einem gefälschten Gucci-Kleid, ins Restaurant, wo die Hochzeit gefeiert wurde.

Beim Anblick der Strolchin verschlug es vielen Gäste die Sprache. Der Schweizer zog bloß ratlos eine Augenbraue hoch, Stella dagegen erstarrte. Und plötzlich rief die Scheuche, die nur drei Zähne, dafür aber eine gewaltige Fahne hatte, laut in Richtung Stella:

„Guten Tag, Töchterchen!“

Völlig schockiert von diesem Auftritt war der Mann, der die Rolle des Vaters der Mädchen, eines armen, intelligenten Lehrers spielte. Er wurde fast ohnmächtig. Diese Erscheinung sollte seine Frau sein! Der Schweizer brach das Schweigen mit dem schlichten, zurückhaltenden Satz:

„Dass so schöne Töchter so eine Mutter haben können!“

Stella erklärte mit bitterer Stimme und Tränen in den Augen:

„Eigentlich solltest du sie gar nicht zu sehen bekommen. Sie ist Schande unserer Familie! In ihren jungen Jahren war sie die erste Schönheit der Hauptstadt!“

Bei diesen Worten fiel dem angeblichen Brautvater das Sektglas aus den Fingern. Das Mütterchen mit seiner Neigung zum Alkohol starrte voll Bedauern auf den Boden, wo die prickelnde Flüssigkeit zerrann. Den Ereignissen um sich herum schenkte sie keine Aufmerksamkeit.

„So war das nicht abgemacht“, begehrte jetzt der „Papa“ auf. „Mit solchen Hauptstadtschönheiten habe ich nie geschlafen. Pfui!“

Da kapierte Natalja, dass es um einen Skandal nicht herumgekommen würde und schrie:

„Das Brautpaar soll sich küssen! Küssen!“ Sie gab den Musikanten ein Handzeichen, dass sie spielen sollten. Der Vater schenkte sich ein Glas Wodka ein, trank es auf einen Zug aus, beruhigte sich wieder und begann eine Unterhaltung mit dem Schweizer. Dabei kannte er nur zwei Wörter auf Englisch: „Yes, yes.“

Jedes Mal, wenn sich die Freundinnen an diesen Vorfall erinnerten, lachten sie lange und erzählten einander sämtliche Details aufs Neue. Und sie hatten jede Menge solcher Geschichten. Natalja lernte andere Mitglieder ihrer lustigen Gesellschaft kennen. Bei einer guten Flasche Wein war es keine Sünde, sich über Onkel Wowa, den Leiter des Friedhofs, lustig zu machen. Und wer war der Leiter des Friedhofs? Natürlich der Wächter. Ein witziger Typ. Er murrte ständig, regte sich auf.

„Ich hab es satt, für euch Gotteslästerinnen Löcher zu buddeln! Ihr beerdigt Leute wie am Fließband! Schämen solltet ihr euch!“

„Die Särge sind doch alle leer, Onkel Wowa!“

„Gott sei Dank, dass sie leer sind!“

Aber beim Anblick eines 100-Dollar-Scheins veränderte er sich rasant, seine Stimme und Körperhaltung bekamen die Würde eines Mannes, der Geld in frei konvertierbarer Währung besitzt. Dann sagte er:

„Ihr macht alles richtig! Sie haben es verdient! Geschieht ihnen recht, diesen alten Perverslingen! Sie kommen hierher, holen unsere jungen Mädchen weg und machen mit ihnen weiß Gott was! Dort in diesem Amerika!“

Sie lachten über ihn bis zum Umfallen. In Wirklichkeit mochte er das Begräbnistheater, das die Mädchen erfunden hatten. Dabei konnte man sich ordentlich die Kehle anfeuchten, fürstlich essen und etwas mit nach Hause nehmen. Dafür hatte er ein paar große Tragetaschen parat. Das einzige, worüber sich Onkel Wowa beschwerte, waren die Klageweiber. Er sagte:

„Wegen der Weiber, die für Geld weinen, kriege ich noch einen Herzinfarkt. Ich heule ja selber mit und beweine die leeren Särge. Sie jammern einfach so traurig! Schlampen! Es zerreißt einem die Seele! Ich weiß noch, wie sogar ein Kunde von euch, ein Deutscher, Drecksnazi, feuchte Augen bekam! Und ich habe auch noch ein slawisches Herz! Das wird das Gejammer nicht mehr lange ertragen! Und wenn ich sterbe, wer soll euch dann für die paar Groschen Löcher buddeln?“

Die Freundinnen lachten so laut, dass es auf dem ganzen Friedhof zu hören war.

Natalja sollte bald ihr Studium beenden. Saweli war froh darüber und konnte es kaum erwarten, seine unbegabte Studentin in nächster Zukunft loszuwerden. Die Situation an der Universität war für ihn ungünstig und seine Muse hatte ihn enttäuscht.

„Geistloses, billiges Miststück“, dachte er. „Und ich bin ein alter Trottel!“ Manchmal kam ihm der Gedanke, dass er wegen Überschreitung seiner Befugnisse im Gefängnis landen könnte. „Dank mir hatte sie ja immer die besten Noten. Werden ihre Kenntnisse geprüft, kommt sofort heraus, dass ich ein alter Wüstling und ein korruptes Schwein bin. Diese blonde Studentin mit ihren rosigen Brustwarzen war offensichtlich unfähig, einen Hochschulabschluss zu erwerben. Und drogenabhängig war sie außerdem!“

Einmal hatte er sie auf der Toilette mit Amphetamin ertappt. Danach verlor er das Interesse an Natalja, begann sich sogar vor ihr zu scheuen und sie zu meiden.

Sie wiederum erklärte ihm, sie könne unter dieser Droge schneller lesen.

„Lesen allein reicht nicht, um sich Wissen anzueignen! Du musst den Sinn verstehen! Um dich mit einem Text auseinanderzusetzen, musst du vollkommen nüchtern sein! Aber du verstehst gar nicht, worum es sich handelt“, hatte der Dekan sie einmal angefahren.

Worauf er eine Antwort bekam, die zu hören er mehr als alles andere im Leben fürchtete:

„Schatz, sieh es ein. Ich muss mein Studium abschließen, koste was es wolle! Und du hilfst mir dabei! Sonst müsste ich doch einmal deine Frau kennenlernen und bei einer Tasse Tee ein nettes, aber ganz bestimmt langes Gespräch mit ihr führen.“

Er wusste, dass sie zu dieser Gemeinheit sehr wohl fähig war. Und er wollte auf keinen Fall seine Familie verlieren, die für ihn letztendlich eine Art Rückendeckung war. Sein Haus empfand er als eine Art Tempel der Ruhe.

Vielleicht würde ihm seine Frau den Seitensprung verzeihen, aber wahrscheinlich würde sie ihn nie mehr in Ruhe lassen. Er bekäme garantiert Vorwürfe zu hören und würde ständig überwacht. Wenn seine gescheite Frau auch nur den kleinsten Anlass zu einem Verdacht fände, würde sie sicher noch interessante Dinge entdecken. Er war nun einmal nicht der frömmste und treuste Ehemann.

Natalja hatte wohl ein bisschen Mitleid mit ihm, aber er ließ ihr keine Wahl. Sie musste sie den Langweiler unter Druck setzen und beschenkte ihn mit den verschiedensten Sachen – mit Schweizer Schokolade, Käse, fruchtigen Likören, allerlei Delikatessen, die sie von den Ausländern erhielt. Außerdem lutschte sie sein schlaffes Glied einmal in der Woche, nach Stundenplan, wie sie es auch in den vergangenen Jahren immer getan hatte.

„Meiner Meinung nach ist das mehr als ein guter Preis für ein Diplom! Ich habe den alten Langweiler viel zu sehr verwöhnt!“

Saweli beschwerte sich im Prinzip auch nicht, er hatte nur Angst, seine Stelle zu verlieren, bevor er in den Ruhestand ging.

Endlich hatten die Mädchen genug Geld zusammengespart, um sich Autos leisten zu können!

Was für eine Freude! Und stolz waren sie ebenfalls! Die beiden parkten jetzt ganz souverän ihre gleich aussehenden schwarzen Lexus-Offroader vor der Uni. Das Leben auf den eigenen vier Rädern war noch cooler als vorher! Für sie schien es geradezu Geld zu regnen. Mit solchen Schlitten konnten sie überall und mit allen Kontakte knüpfen. Sie schlossen Verträge mit Hotels, Restaurants, Shops, machten überall Gewinn, waren von vielen Ausländern umgeben. Sie hatten Spaß und amüsierten sich.

„Das nenne ich einen Job!“, sagte Nata. „Das reinste Kinderspiel!“

Die Freundinnen kauften für das Geld der Kunden verschiedene Waren ein und gaben sie am nächsten Tag zurück. Auf diese Weise wanderten Hunderte von Dollar in ihre Taschen.

Stella war eine leidenschaftliche Person mit einer besonderen Vorliebe für Spielbanken. Sie spielte manchmal betrunken, setzte das ganze Geld auf Rouge und Noir und verlor ständig.

Natalja legte jeden Groschen auf die Seite. Sie hatte gemischte Gefühle hinsichtlich der Verluste ihrer Freundin und Rivalin. Es war ihr selbst nicht klar, ob sie ihr Freude bereiteten oder doch eher Missfallen erregten. Aber nach einem verlorenen Spiel endete Stellas Abend gewöhnlich mit einer angenehmen Bekanntschaft. Das schmeichelte ihr und ärgerte ihre Freundin.

Ihre Beziehung mit Sergej ging letzten Endes in die Brüche. Als er erfuhr, dass sie Männer ausnahm, stellte er eine Bedingung:

„Entweder ich oder dein Job.“

Damit verurteilte er sich selbst zum Leiden. Stella trauerte einige Monate, aber dann wurden ihre Gefühle von der Vernunft besiegt. Es war noch zu früh, eine Familie zu gründen. Außerdem war der wichtigste Grund ihrer Gefühle für Sergej die Tatsache, dass er die Schlampe an den Heizkörper gefesselt hatte. Als Mann passte er kaum zu ihr. Er war ein eifersüchtiger Typ, der davon träumte, sie zu Hause bei Kindern und Eintopf einzusperren.

„Nein! Das lasse ich nicht zu! Ich werde ein bisschen leiden, und danach wird alles gut.“

Sie mochte Männer von höherem Niveau, die reich, beredt und weit gereist waren. Gewöhnlich traf sie solche Männer im Kasino. Stella hielt sich für wohlhabend, aber sie wusste von ihrem Hang, mit Geld leichtsinnig umzugehen. „Geld heckt Geld“, war ihr Motto. Das war eine Tatsache des Lebens, so oder so.

Natalja dagegen würde ohne einen Sponsor nicht einmal bei McDonalds essen gehen. Deshalb gingen sie normalerweise getrennt aus und trafen sich nur zu dem einen Zweck, mit neuer Beute zu prahlen – sei es ein Banker, ein ausländischer Tycoon oder ein ähnliches Opfer. Dabei liebten es die beiden Mädchen, ihre Eroberungen auszuschmücken. Nicht selten war ein junger Erdöl-Tycoon in Wirklichkeit nur der betagte Inhaber von einem Dutzend Ständen auf dem Markt, die allerlei Kram verkauften, oder ein Biergartenbesitzer. Lustig war es trotzdem!

Natalja überlegte, was sie machen würde, nachdem sie ihr langersehntes Diplom bekommen hätte. Sie wollte ihrem Beruf nachgehen und die erworbenen Kenntnisse in der Praxis einsetzen. Dabei war sie sich hundertprozentig sicher, dass sie im Vergleich zu den anderen die Beste wäre. Sie behauptete, dass sie ihre Diplomarbeit ohne jede Hilfe von Saweli selbst verfasst hätte. Als dieser das hörte, staunte er mächtig. Aber er wusste ja, dass alle dummen und ungebildeten Menschen sich für großartig halten. Wirklich kluge Köpfe dagegen waren bescheiden.

Stella wiederum war der Meinung, dass Frechheit und Selbstvertrauen die Schlüssel zum Erfolg seien. Wer diese Eigenschaften hatte, konnte ein schwarzes Viereck auf ein weißes Blatt Papier malen und mit größter Selbstverständlichkeit für Millionen Rubel verkaufen, während die Bilder, an denen andere tage-, wochen-, monate-, gar jahrelang mühevoll gearbeitet hatten, für ganze tausend Hrywnja an der U-Bahn-Station verscherbelt wurden. Darum bestand die Genialität eines genialen Menschen zweifellos in seiner listigen Natur und im Selbstvertrauen. Denn das Leben ist ungerecht. Im Unterschied zu Saweli glaubte Stella, Natalja hätte die erforderlichen Fähigkeiten, nicht nur bei einer Bank zu arbeiten, sondern eine leitende Position zu bekleiden. Zu dieser Überzeugung kam sie aufgrund ihrer persönlichen Lebenseinstellung.

Natalja wurde tatsächlich einmal zu einem Vorstellungsgespräch für eine Anstellung als Bankkassiererin eingeladen und seltsamerweise auch sofort eingestellt. Aber es gab eine Unannehmlichkeit. Der Lohn betrug mickrige hundert Dollar, berechnet in US-Währung.

Natalja war geschockt. Sie erzählte ihrer Freundin fast unter Tränen, diesen Betrag hätte sie problemlos verdienen können, auch ohne an einem Schalter neben fetten alten Kassiererinnen zu sitzen.

„Hahaha!“ Stella bekam feuchte Augen vor Lachen. „Du vergeudest deine Zeit, Natalja! So eine Stelle kannst du annehmen, wenn deine persönliche Bank zwischen deinen Beinen keinen Gewinn mehr bringt. Wozu brauchst du das jetzt?“

„Ich will aufhören, Stella! Ich habe Angst!“

„Wovor?“

„Vor der Strafe Gottes.“

„Das fällt dir ja rechtzeitig ein, Mädchen.“

„Spotte bitte nicht.“

„Also gut, Spott beiseite. Geh ruhig für einen Hunderter malochen, ich hab nichts dagegen.“

„Stella, versteh doch. Den Leuten geht allmählich auf, dass unsere Agentur reine Betrügerei ist. Sie schreiben böse Kommentare auf unserer Webseite. Ich fürchte, dass die Bullen uns bald schnappen. Dann sind wir sind erledigt! Tschüss, Mama! Schick mir Briefe ins Gefängnis!“

„Jetzt erschreck mich nicht! Ich habe keine Lust auf Knast.“

„Du weißt doch selber, vor dem Gefängnis ist niemand sicher.“

„Das weiß ich, aber sitzen würde ich nicht. Lieber sterben.“

„Jetzt erschreckst du mich.“

Stella wurde nachdenklich. Sie wog das Für und Wider ab und sagte:

„Du hast recht. Wir haben jetzt weniger Leute und der Ruf der Firma ist alles andere als erfreulich, da lässt sich nicht leugnen. Wir nehmen alle um uns herum aus, bezahlen unser Studium, trinken, spielen in Kasino und geben Geld aus.“

„Bitte nicht verallgemeinern. Ich spare.“

„Also gut, ich gebe mein Geld aus. Aber was du dir zusammengespart hast, würde dir bei deinen Ansprüchen auch nicht zum Leben reichen, oder?“

„Natürlich nicht.“

„Das bedeutet, dass wir eine andere Einnahmequelle brauchen.“

„Ja, ja! Wir müssen die Firma dichtmachen, Stella! Mein Herz sagt mir, dass etwas nicht stimmt.“

„Gut, lass mich überlegen, was wir unternehmen könnten.“

Stella verließ ihre Freundin etwas verwirrt und missgelaunt. Die Gedanken drehten sich in ihrem Kopf auf der Suche nach einer Idee. Sie wollte nicht ohne Natalja weitermachen, die beiden arbeiteten ja trotz aller Meinungsverschiedenheiten ganz gut zusammen, verstanden einander auf Anhieb. Natalja könnte mit einer normalen Arbeit problemlos Geld verdienen und dazu noch ihr altes Gewerbe am Wochenende betreiben. Aber Stella hätte damit Schwierigkeiten. Sie ging nur mit Männern ins Bett, die sie wirklich mochte. Das einzige, womit sie gut verdienen konnte, waren Gaunereien, ihre Theateraufführungen, wo sie ihre Kunst, Tränen zu vergießen, wann immer sie es brauchte, geschickt einsetzte. Nicht damit, ihren Körper zu verkaufen. Das war nicht ihr Ding. Das Bett, Küsse, intime Beziehungen endeten für sie nicht mit Phrasen wie: „Ihre Zeit ist abgelaufen. Möchten Sie verlängern?“ – „Nein, zieh dich an und hau ab, du Schlampe!“

Sie musste noch ein Jahr in Kiew arbeiten, wenn sie ihr Studium nicht abbrechen wollte. Ihr war es wichtig, die Universität abzuschließen. Natalja sollte ihr Diplom in diesem Jahr erhalten, Stella erst im nächsten.

„Was jetzt? Denk gefälligst!“, befahl Stella, die konservative Strategin, sich selbst.

Hurr!

Der Erhalt ihres Diploms war ein großes Ereignis in Nataljas Leben. Endlich hatte sie sich aus dem Netz dieses verdammten Studiums befreit, dem sie sowieso nur flüchtig nachgegangen war, weil eine ganz andere Tätigkeit sie voll auslastete. „Diese fünf Jahre waren eine reine Hölle! Ein Rattenrennen!“ Selbst ein Hamster in seinem Laufrad war nicht so müde, körperlich und psychisch, wie Natalja. Gott sei Dank hatte sie immerhin keine Geldprobleme! Das war die Hauptsache.

Sie weinte und lachte gleichzeitig. Offenbar hatte das Amphetamin ihre Nerven endgültig zerstört. Sie wurde aggressiver und schrie unwillkürlich Menschen an.

Das fiel ihr selbst auf und sie hatte Angst davor, durchzudrehen. Um sich zu beruhigen, ging sie zu den zwei hübschen Jungs, mit denen sie gleichzeitig und völlig gratis schlief. Für die Seele.

Die Jungs hatten immer Ecstasy dabei. Sie pumpten Natalja damit voll und fickten sie dann in alle ihre Löcher. Danach fuhr sie weiter feiern, zog von einem Klub zum anderen, soff sich total zu und fiel von Barhockern. Das war ihre Spezialität. Es passierte gewöhnlich dann, wenn sie stockbetrunken am Tresen saß und versuchte, abgestützt auf ihren nicht mehr kippsicheren Ellenbogen, anständig auszusehen. Krabummm!

Sie krabbelte zurück, klammerte sich an die dünne Querstange des Barhockers und zog sich wie eine Stripperin hinauf. Ein hartes Stück Akrobatik. Aufgerüttelt von ihrem Sturz, wurde Natalja etwas nüchterner, zog sich aus, verscheuchte die Stripperinnen von der Stange und tanzte nackt. Dann kroch sie nach Hause, mit Männern, die sie immer wieder bestahlen, aber sie wusste nicht einmal deren Namen. Am Morgen rief sie Stella an und beschwerte sich über die zwei Jungs, bei denen sie am Abend zuvor gewesen war und die beim Rundfunk arbeiteten. Stella rief ihrerseits die Jungs an und hörte jedes Mal neue blamable Abenteuer ihrer Freundin in respektablen Etablissements. Die Freunde hatten einfach keine andere Wahl, als sie stockbesoffen und unter Drogen zurückzulassen und wegzugehen.

„Ach, bist du mal wieder beraubt worden? Und weißt nicht von wem? Bist du sicher, dass du dir noch kein AIDS geholt hast? Das würde mich wundern!“

„Verpiss dich, Stella! Den Pips sollst du kriegen! Ich habe immer Kondome dabei. Oh! Ich habe Bier im Kühlschrank gefunden. Komm rüber, wir trinken eins!“

„Bin schon unterwegs.“

Wenn sie an die verrückte Natalja dachte, kam sie zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich nicht von nur einem Mann beraubt worden war. Vielleicht waren es eher fünf oder sechs im Laufe der Nacht gewesen. Diese Dame war verwöhnt und auf Drogen völlig inadäquat.

„Hallo!“

„Oh! Stella, komm rein. Schau mal, wie leer es jetzt bei mir ist. Wenigstens die Möbel haben sie stehenlassen, diese Arschlöcher! Aber die Gläser, die du mir geschenkt hast, haben sie geklaut.“

„Ja, ich weiß noch, diese Gläser habe ich dir nach dem vorigen Raub geschenkt“, sagte Stella sarkastisch, als sie die Tränen im Nataljas Gesicht bemerkte.

„Du bist fies, Stella! Du hast nichts, was geklaut werden könnte, und darum machst du dich über mich lustig! Meine Wohnung ist gut ausgestattet, ich habe alles.“

„Ich sehe nur jede Menge Kram. So viel könnte kein Dieb mitnehmen! Deine Wohnung ist der reinste Flohmarkt!“

„Und du, Stella, wenn du betrunken bist, verschenkst du alles. Du bist schon mehr als einmal in einer leeren Wohnung aufgewacht.“

„So werde ich jedenfalls nicht ausgeraubt.“

Die Mädchen lachten.

„Ich habe dir doch den Rat gegeben, die Wertsachen entweder bei der Bank zu deponieren oder zu mir zu bringen. Fremde Sachen verschenke ich nicht.“

„Wer weiß!“

Natalja hatte nicht so viel Vertrauen in Stella. Und noch weniger in alle anderen auf diesem Planeten. In ihrem Leben gab es keinen Platz für einen solchen Menschen. Sie war kleinlich und krämerhaft. Sie versteckte all ihre Ersparnisse in Socken und Wänden. Während ihre Nachbarn bei der Arbeit waren, bohrte Natalja eigenhändig mit dem Schlagbohrer die Löcher in die Wände und gab das als Renovierung aus. Bevor sie anfing, beobachtete sie genau und verfolgte mit unverwandtem Blick jeden, der aus dem Haus ging. Dann klingelte sie der Reihen nach an allen Türen in der Nachbarschaft, um zu überprüfen, ob die Nachbarn wirklich ihre Wohnungen verlassen hatten.

Eine Wendung im Leben der Gaunerinnen

Eines Abends chattete Stella mit Schenka Kosonoschkin, einem ihrer Klassenkameraden aus Lugansk. Zu ihrem großen Erstaunen stellte sich heraus, dass der unverbesserliche Fünfenschreiber und Chaot bei einem führenden Lebensmittelgroßhändler arbeitete. Zu allem Überfluss leitete er die Vertriebsabteilung.

„Kosa, wie hast du das geschafft? Ich kann es gar nicht glauben! Wenn mir jemand gesagt hätte, dass du im Knast sitzt, würde mich das weniger wundern! Und jetzt so was! Direktor Kosa! Ahahaha!“

„Sehr witzig, Stella! Du warst schon immer originell in deinen Äußerungen!“

„Danke für das Kompliment. Aber jetzt mal im Ernst, wie bist du da hingekommen? Raus mit der Sprache!“

„Ein Dekan an einer Privatuniversität in Lugansk hat mir ein Diplom für zweitausend Dollar verkauft. Er hat mir versichert, das Diplom sei echt und entspreche den Standards. Ich ließ mir ein bisschen Privatunterricht geben, lernte zum Thema alles, was nötig war, und voilà Mademoiselle! Ich bin jetzt nicht mehr der Kosa, mit dem du geschwänzt und hinter der Schule eine geraucht hast! Ich bin jetzt Evgeni Wladimirowitsch.“

„Hahaha! Du hast mich zum Lachen gebracht! Aber das war natürlich ein genialer Gedanke! Sehr gut! Ich freue mich für dich. Aber für mich bleibst du Kosa wie früher. Ahahaha!“

„Abgemacht, Stella Flinkfinger!“

„Schreib mir, vergiss das nicht!“

„Tschüss.“

Stella verarbeitete diese Informationen und begann, einen genialen Plan zu schmieden. Ihre Gedanken waren auf ein einziges fernes Ziel ausgerichtet – die Welt der Zasterhasen.

Außerdem hatte sie bereits eine gewisse Erfahrung beim Kauf von Dokumenten. Ihren Führerschein kaufte sie bei der Staatlichen Verkehrsinspektion der Stadt Cherson durch Beziehungen. Dabei hatte sie diese Stadt nie besucht.

Sie rief Natalja an und erzählte ihr von ihrer genialen Idee, mit der ihrer Meinung nach ein neuer Lebensabschnitt beginnen würde, in dem kein Platz für Habenichtse vorgesehen war.

Der Kern der „Geschäftsidee“ bestand darin, zwei Hochschuldiplome in Rechtswissenschaften zu kaufen und ein Notariat zu gründen. Dort sollten dann Mitarbeiter mit einer echten juristischen Ausbildung angestellt werden, deren Aufgabe es wäre, sich direkt mit den Dokumenten zu befassen.

„Und wir werden klug dreinschauen und den Stempel daruntersetzen. Wie findest du die Idee, Freundin?“

„Stella! Was hast du für einen klugen Kopf! Ich bin schockiert!“

„Ja. Daran ist nichts auszusetzen!“

„Das wird uns ein Haufen Geld bringen!“

„Aber es gibt ein Problem! Um die Berechtigung zur Benutzung eines Notarsiegels zu erhalten, muss man mindestens zwei Jahre Arbeitserfahrung in einem Notariat haben.“

„Puh, Stella, da hast du mich beinahe erschreckt! Ich dachte, es gäbe ein echtes Problem! Wir brauchen doch bloß einen kleinen Notar in irgendeinem Dorf zu ficken, damit er uns die erforderliche Berufserfahrung bestätigt.“

„Hahaha! Daran habe ich gar nicht gedacht.“

„Dann legen wir los?“

„Ich bin bereit!“

Natalja war entzückt. Sie stellte sich vor, wie sie in einem strengen Kostüm aussehen würde, wohl ähnlich wie Stella: ein eiskaltes, unnahbares Luder von unwiderstehlicher Schönheit. Wenn es aber einer wagte, sie zu berühren, wurde er um sein gesamtes Vermögen gebracht und ihm die Schuld dafür gegeben. Die Genialität ihrer Kollegin verärgerte sie ein wenig.

„Ich bin mir sicher, dass ich ihr in diesem Geschäft einen Vorsprung geben könnte!“, dachte sie mit einem giftigen Lächeln. „Aber warum komme ich nicht auf solche Ideen?“, fragte sich Natalja ärgerlich. Gleichzeitig gefiel ihr es, so eine Freundin zu haben. Nicht umsonst lautet das Sprichwort: Sag mir mit wem du umgehst…

Übrigens hatte Natalja keine große Auswahl. Alle Frauen außer Stella hassten sie. Welches normale Mädchen würde die Freundschaft zu einer prinzipienlosen Nymphomanin aushalten?

Die beiden verwirklichten ihren Plan mit rasendem Tempo. Stella fuhr in ihre Heimatstadt Lugansk, die sie schon lange nicht mehr besucht hatte. Dort wohnten noch ihre Mutter und ihre drogensüchtige ältere Schwester, die schon die Hälfte ihrer Zähne verloren hatte. Leider konnte Stella der Schwester nicht helfen. Alle Versuche waren vergeblich. Sie fixte Heroin und hatte außerdem anscheinend einen Dachschaden. Die ältere Schwester hasste die jüngere schon seit ihrer Kindheit. Stella war gewiss ein Problemkind gewesen. Sie flog von vier Schulen. Zur letzten von ihnen musste sie einige Kilometer zu Fuß zurücklegen. Sie lungerte mit Jungs in Kellern herum, trug immer Sportklamotten, und zwar nur drei Marken, die auf dem Stadtmarkt zu kaufen waren: Puma, Adidas und Montana. Im kurzen Haar in Stellas Nacken prangte ein Dreieck, das ihr ihre Freunde im Keller des Hauses Nummer neun im Saretschny-Viertel rasiert hatten. Stella versuchte die Vereiterung der Kopfhaut vor ihrer Mutter zu verbergen und trug darum sogar zu Hause eine Mütze.

Sie war überraschend gut in der Schule, schwänzte aber viel und war ständig in Schlägereien und Konflikte verwickelt. Sie war Dauergast im Dienstzimmer von Anatoli Nikolajewitsch Borisow, dem Leiter der Jugendinspektion der damaligen Miliz. Jedes Mal drohte er, sie in die Jugendstrafanstalt zu schicken. Er machte seine Drohung aber nie wahr, also schaute Stella immer wieder mit einem netten Lächeln im Gesicht bei ihm vorbei und hörte sich eine stundenlange Tirade über das schwere Leben hinter Gittern an.

Zwei Wochen blieb Stella in Lugansk, bis die Diplome fertig waren. Jeden Tag trank sie mit den Freunden ihrer Kindheit. Sie besuchte sie der Reihe nach und traf sie auf verschiedenen Partys. Einmal begegnete sie auch ihrem ersten Freund, genauer gesagt ihrem „ersten Kuss“. Der Mann sah schrecklich müde aus. Er war heroinabhängig. Mit schwerem Herzen blickte sie auf die lebende Leiche. Sie hatte manchmal ein ungutes Gefühl, wenn sie beobachtete, wie junge Burschen durch das ekelhafte Zeug starben, das die verfluchten Drogendealer vertrieben. Nur einer von hundert schaffte es, die Abhängigkeit loszuwerden. Die anderen waren so gut wie zum Tode verurteilt. Stella selbst hatte eine Neigung zum Alkohol und probierte damals einige Drogen aus, wie das in den Discos verbreitete Amphetamin und Ecstasy-Tabletten. Aber sie liebte das Leben so sehr, dass sie es nicht gegen Drogen eintauschen würde.

Als Stella zurückkehrte, war ihre Freundin auf dem Höhepunkt des Glücks. Sie war erfüllt mit Begeisterung und Stolz.

Nun war sie Volkswirtin und Juristin! Wovon konnte sie jetzt noch träumen? Die Heiratsvermittlungsagentur meldete sofort Insolvenz an und wurde geschlossen. Die Sache mit der Berufserfahrungsbestätigung dauerte auch nicht lange, wie Natalja vorhergesagt hatte. Der passende Mann wurde gefunden und ausgenommen. Die beiden Mädchen bekamen offiziell je zweieinhalb Jahre Berufserfahrung bei einer Rechtsberatungsstelle bestätigt.

Sie mieteten einen neuen Raum direkt in der Stadtmitte und begannen mit der Renovierung. Sie wussten noch nicht, dass bald eine neue Reihe von Skandalen und Zwistigkeiten über sie hereinbrechen würde.

Stella, die hinterlistige Schlange, ärgerte ihre Freundin mit ihrem Geschmack, insbesondere mit ihrer Vorliebe für Wände in hell- und dunkelbraunen Farbtönen. Natalja dagegen wollte lieber rot und schwarz. Oder vielleicht grellgelb und dazu ein einzigartiges Grün. Das wäre eine Herausforderung an die Gesellschaft ganz eigener Art. Diese Farben hielt sie für wesentlich vorteilhafter im Vergleich zur braun- und pastellfarbener „Kinderkacke“. Sie fand grelle Farben origineller. Außerdem würden sie von Nataljas tadellosen Geschmack zeugen. Stellas Bemerkung, sie hätte gar keinen Geschmack, traf Natalja mitten ins Herz. Den arroganten Ton, in dem das gesagt wurde, konnte Natalja nicht vergessen. Die Idee gehörte Stella, deswegen war sie berechtigt, das Design auszuwählen, in dem die Räumlichkeiten gestaltet werden sollten.

Diese Nachricht machte Natalja traurig, es schien, als hätte sie aufgegeben. Sie fühlte sich zweitklassig und hasste das langnasige Luder.

„Ich werde beweisen, dass ich erstklassig bin! Und klüger außerdem! Wart's nur ab!“

Ein paar Tage nach diesem Skandal vibrierte Nataljas Handy Natalja. Auf dem Display erschien eine Meldung: „Sie werden von 'Luder' angerufen.“

„Ja, Stella! Brauchst du was? Sind die dünnschissfarbenen Tapeten abgefallen? Soll ich kommen, um sie zu halten?“, zischte Natalja.

„Hallo, liebe Freundin!

Hasst du mich immer noch? Ich habe einen Vorschlag für dich. Kannst du ruhig zuhören?“

„Verdirb mir die Laune nicht, du Luder! In der letzten Zeit waren deine Vorschläge für mich unerträglich!“

„Beruhige dich und hör mir zu.“

„Okay, schieß los!“

„Erstens, ich will mich nicht mit dir zanken. Mir ist klar, dass wir völlig verschieden sind, wie rot und schwarz.“

„Nein, wie grün und die braune Scheiße!“, schrie Natalja ins Handy.

„Ich bin bereit, mein Auto zu verkaufen und für dich einen anderen Raum zu mieten, mit jeder beliebigen Farbe an den Wänden. Du wirst dort die Chefin sein. Überhaupt sollten wir nach dem Plan nicht nur ein Büro, sondern ein ganzes Netz eröffnen. Unter der Bedingung, dass das zentrale Büro ausschließlich mir gehört. Bist du einverstanden?“

„Du bist aber schlau, Stella! Du willst also im Stadtzentrum sitzen? Und ich mitten im Nirgendwo?“

„Manchmal gibt es viel mehr Kunden am Stadtrand.“

„Ja klar! Erzähl nur!“ Alle reichen Leute lassen sich im Stadtzentrum bedienen! Am Stadtrand gibt es nur Lumpensäcke! Und Junkies! Danke für den Vorschlag! Den kannst du dir dahin schieben, wo du es gern magst.“

„Gar nicht wahr! Nicht alle kommen auf den Chreschtschatyk, um sich Dokumente beurkunden zu lassen!“

„Gut, ich überlege es mir. Heißt das, du schenkst mir dein Auto? Und hilfst mir bei der Renovierung?“

„Genau. Die Renovierung in deinem Stil wird ja nicht so teuer.“

„Grrrrr! Ich bring dich um!“

„Haha!“, lachte Stella.

„Tschüss dann! Ich ruf dich an, wenn ich mich entschieden habe.“

„Danke, dass du mich hast ausreden lassen.“

„Ciao.“

Nach dem Gespräch setzte sich Natalja in einen Sessel, goss sich einen Martini ein und dachte nach.

„Ist sie wirklich so dumm? Schenkt mir ihr Auto? Da stimmt was nicht! Aber von mir aus soll es so sein. Ich werde sie los. Ich würde es sowieso nicht schaffen, mit ihr in diesem braun gestrichenen Büro zusammenzuarbeiten. Stella hält ihr Wort. Das heißt, es wird keine Tricks geben.“

Die Mädchen hatten nicht damit gerechnet, dass sie sich bis zur Eröffnung ihres Hauptbüros mit so viel schrecklichen Papierkram auseinandersetzen mussten. Es zeigte sich, dass es gar nicht leicht war, alle Genehmigungen für die Beglaubigung ernsthafter Unterlagen zu erhalten. Sie mussten viel Zeit dafür aufwenden, die verschiedenen Bescheinigungen und Dokumente zu beschaffen. Stella bat Slawik aus der Präsidialverwaltung um Hilfe. Damals war Juschtschenko Präsident der Ukraine. Nachdem sich einflussreiche Beamte einmischten, lief die Sache schneller. Natalja ärgerte sich wiederum, dass ihre Bekannten keine Bereitwilligkeit zeigten, ihr zu helfen. Manche von ihnen lachten sie sogar aus:

„Eine Hure als Notarin. Das ist nur in unserem Land möglich.“

„Dreckige Arschlöcher! Warum habe ich die nur so meisterhaft gefickt? Sie sind doch absolut keine Hilfe“, brüllte die schöne Natalja.

Merkwürdigerweise half ihr ausgerechnet Saweli. Er war wohl der edelste Mann in ihrer Umgebung. Er hatte natürlich Bekannte in diesem Bereich. Das Mädchen war sehr stolz darauf und prahlte damit.

Nach dem Erhalt der Genehmigung vergingen mehrere Monate, bis die Mädchen endlich das rote Band vor dem Eingang zum neuen Büro durchschneiden konnten. Die Zeremonie wurde mit Musik und Krimsekt begleitet. Die Freundinnen strahlten vor Glück. Sie umarmten sich und Natalja dachte irgendwann, dass das Design des Büros doch gar nicht so schlecht wäre. Stella dagegen war ein bisschen deprimiert, weil sie während des Kampfes für ihre bevorzugten Pastell-Farbtöne die Freundin beleidigt hatte.

Der erste Jurist wurde von Stella angestellt. Er war ein attraktiver junger Mann. Er hatte schon zwei Jahre Berufserfahrung bei einem hauptstädtischen Notariat, das über einen guten Ruf verfügte. Denis war schön und hochgewachsen und hatte dichtes dunkles Haar. Er war ruhig wie eine Python. Seine lang bewimperten Augenlider hielt er etwas gesenkt. Er gefiel Stella sehr. Seine feinen, langen Finger und Handgelenke bezeugten seine intelligente Herkunft. Er sprach nicht laut, weich und eingängig, ideal für die Arbeit mit Kunden.

Natalja triumphierte.

„Was hast du denn da für einen Spasti angeheuert? Er macht uns alles kaputt! Er bewegt sich kaum! Höchstens im Zeitlupentempo. Total zurückgeblieben!“

„Er ist genau richtig! Die Angestellten in einer Notarkanzlei müssen bedächtig und ruhig sein. Die Arbeit mit Kunden erfordert eine besondere Vorgehensweise und dabei weder Emotionalität noch fieberhaftes Rattenrennen!“

„Er ist voll die Bremse! Ich will diese Frau da einstellen! Die mit dem Zopf! Eine Schönheit! Schau dir nur mal ihre Augen an.“ Sie warf eine Bewerbungsmappe auf den Tisch direkt vor die Nase ihrer Freundin.

„Wozu brauchen wir diese Schwuchtel im Büro? Kannst du mir das sagen? Wenn wir jemanden wie die Frau da einstellen, kriegen wir coole Männer als Kunden! Aber mit dieser Missgeburt machen wir aus unserem Notariat ein Schwulennest!“

„Wir sind eine Notarkanzlei, kein Puff! Wozu brauchst du Männer?“

„Ohne Männer geht gar nichts! Bist du völlig verrückt geworden? Die Direktoren aller großen Firmen sind Männer! Sie wollen ihre Unterlagen von einer schönen Frau beglaubigen lassen und nicht von einem Schwulen!“

Vielleicht hatte sie recht, aber Stella tat unnachgiebig genau das Gegenteil, als ob sie es darauf anlegte. Allem Anschein nach war es genau so, weil Stellas innere Haltung gegenüber ihrer Freundin nicht zu hundert Prozent von Wärme und Güte gekennzeichnet war. Sie war das endlose Streiten und die Skandale müde. Sie erinnerte sich mit Sehnsucht an ihr vergangenes „Theaterleben“, das so lustig und abwechslungsreich gewesen war.

„Was hatten wir doch für einen Spaß! In diesem Märchen gab es für jede eine eigene Rolle: Schwester, Tante, Nichte oder Braut. Jede hat ihre Rolle zu hundert Prozent gespielt. Und gelacht haben wir vom ganzen Herzen. Jetzt haben wir eine Hauptrolle für jede von uns.

Wie sollen wir damit umgehen?“ Ihrem Wesen nach konnten die Mädchen nichts miteinander teilen. Würden Theaterrollen verteilt, könnte ein Regisseur zweifellos Natalja die Hauptrolle geben, zum Beispiel die der unnachahmlichen Edith Piaf.

Auch Stella könnte sich bei weitem nicht nur in Massenszenen präsentieren. Es wäre interessant, sie auf der Bühne als Fürstin Olga zu sehen, jene eiskalte Frau mit wütendem Blick, die eine ganze gegnerische Armee verbrannte, indem sie befahl, glimmende Lunten an die Füße von Tauben zu binden und diese dann in die feindliche Stadt fliegen zu lassen. Oder als Katharina die Große, die sich von der Neugierde der Zeitgenossen zurückzog, um die lasterhafte Liebe mit Pferden zu genießen.

Endlich begann der Arbeitsalltag. Stella versuchte, jede freie Minute zu benutzen, um die Verfassung und andere Gesetze zu studieren. Auf Ukrainisch fiel es ihr besonders schwer. Stella war Russin, anders als Natalja. Ihre Eltern stammten aus Russland. Sie wurde in Lugansk geboren, unweit der Grenze, in einem Gebiet, wo die russische Sprache dominierte. Wegen ihrer unzureichenden Ukrainischkenntnisse beschloss das Mädchen, sich an der sprachwissenschaftlichen Fakultät einzuschreiben. Damals konnte man nur an der sprachwissenschaftlichen Fakultät die Prüfungen in russischer Sprache ablegen.

Bei der Arbeit fühlte sich Natalja wie ein Fisch im Wasser. Als echte Ukrainerin war sie seit ihrer Kindheit an die Landessprache gewöhnt. Auf Ukrainisch verfasste Dokumente konnte sie schnell lesen. Dadurch fühlte sie sich ihrer hochnäsigen Freundin überlegen.

Diese empfand das natürlich als Beleidigung, aber wie immer fand das rechnerische Gehirn Stellas viel Positives an ihrem gemeinsamen Unterfangen. Nataljas Bemühungen, der Freundin ihre Schwächen unter die Nase zu reiben und den Wettbewerb um den Titel „Die Coolste“ zu gewinnen, führten dazu, dass das Geschäft ausgezeichnet und flott lief. Stella bemerkte, dass Natalja und Denis recht gut zusammenarbeiteten. Unter Nataljas strenger Leitung bewegte er sich schneller und sprach lauter. Entweder wurden die Nerven des Burschen härter oder er erwachte aus seinem langen Intelligenzlerschlaf – die Ergebnisse waren jedenfalls ausgezeichnet.

Bei einer solchen Belegschaft konnte sie ruhig schlafen. Nur eins machte ihr Sorgen: die Tatsache, dass alles auf Betrug und Gaunerei aufbaute. Ihre Diplome hatten sie gut versteckt, aber das Risiko war groß. Schließlich kannten viele Menschen die Mädchen persönlich. Stella hatte Angst, entlarvt zu werden, deswegen bemühte sie sich, sich nicht an Orten zu zeigen, wo sie Bekannte treffen könnte. Aber sie unterschätzte die Gefahr, die von Natalja oder genauer gesagt von deren Umfeld ausging. Stella projizierte irgendwie jungenhaft ihre eigene Lebenseinstellung auf andere Menschen. Sie hatte gute Freunde, die sie sehr schätzten. Sie war ein großzügiger Mensch und beschenkte ihre Freunde reichlich und von ganzem Herzen. Oft half sie den Menschen, die sie ausnutzten. Es kränkte Stella sehr, aber sie machte den gleichen Fehler immer und immer wieder. Dabei sagte sie:

„Ich kann mich nicht ändern. Ich komme immer jedem zu Hilfe, der mich braucht. Ich tue das für mich selbst.“

Die falschen Menschen verschwanden schnell aus ihrem Leben. Jeder hatte seinen Preis. Sie nutzten Stella einmalig aus, liehen sich Geld oder Sachen von ihr und gaben natürlich nichts zurück. Der Hauptvorteil bestand für Stella genau darin, dass sie diese Personen in ihrem Leben nie wieder sah. Es blieben gute und kluge Menschen, die verstanden, dass es keinen Sinn hatte, eine Frau wie sie ein- oder zweimal auszunutzen, wenn es doch möglich war, mit ihr einfach befreundet zu sein und sich immer auf sie verlassen zu können. Jedes Geschäft ging ihr flott von der Hand, sie besaß immer Geld und der Spaß in ihrer Gesellschaft hörte nie auf. Ihr Lachen und ihre strahlenden Augen sorgten immer für die beste Laune. Für einen Freund konnte sie ihr Letztes hingeben. Das wusste bei weitem nicht jeder zu schätzen. Manche Leute fingen an, das als selbstverständlich anzusehen, und bestahlen oder verrieten sie dann. Stella sagte:

„Jeder und alles hat seinen Preis. Das zeigt mir, dass dieser Mensch meiner Freundschaft genau diesen Wert beimisst. Ich bin bereit, das zu bezahlen und ihm dafür zu danken, dass er für so kleines Geld aus meinem Leben verschwunden ist. Gott sei Dank, dass sich die Menschen gerade in Kleinigkeiten outen. Die Lumpen zeigen ihr Wesen sofort. Die Gier kann in Menschen die Oberhand gewinnen. Dann verraten sie heilige Gesetze der Freundschaft und der Ehre. Aber das Schlimmste ist, wenn ein Mensch seine gemeine Natur jahrelang verbirgt.“

Sie wurde nicht gern von Menschen enttäuscht. Zum Beispiel war die Freundschaft mit Natalja für sie eine klare Sache. Sie wusste, was sie davon zu erwarten hatte und was nicht, und im Innersten liebte sie ihre Freundin wirklich.

Natalja verstand Stella und ihre Prinzipien überhaupt nicht und dachte, diese sei in jeder Hinsicht neidisch auf sie. Die kantige, arrogante Stella ärgerte sie mit ihrer Pingeligkeit und Hochnäsigkeit. Sie glaubte nicht an gute Eigenschaften bei dieser Schlange und war sicher, dass alles, was Stella tat, nur ihrem Eigennutz diente. Sie selbst empfand im Innersten eine starke Bindung an Stella. Wenn Natalja sich schlecht fühlte oder krank war, kam diese Schlange und pflegte sie, als ob Natalja ihre Schwester wäre. Sie brachte alle möglichen Arzneimittel und Tinkturen mit. Sie kochte für sie Glühwein mit Orangenschale und Zimt nach dem Rezept eines Schweizers. Sie saß so lange bei ihr, bis ihr besser ging. Dann erinnerten sich die beiden an lustige Momente ihres Lebens und lachten.

Natalja hatte immer einen Vorrat an witzige Geschichten.

Bei einem Auftrag hatte Natalja einem Bankdirektor, natürlich auf seinen eigenen Wunsch, dessen Hoden so fest eingeschnürt, dass sie selbst den Knoten nicht mehr öffnen konnte. Die Eier des Direktors schwollen so an, dass sie sich in eine dunkelrote Kugel verwandelten. Er brüllte wie am Spieß, während Natalja ihn von hinten mit ihrem Handy fotografierte.

Stella fiel vom Stuhl vor Lachen. Es gab noch eine interessante Story. Einmal wurde Natalja von zwei Schwulen eingeladen. Sie baten das Mädchen zu versuchen, ihnen beiden gleichzeitig durch ein Rohr, das in den Anus gesteckt wurde – sie nannten es „Tunnel“, – lebende Hamster in den Arsch laufen zu lassen und sie dann aufzufangen, während sie sich liebkosten und die Schwänze lutschten.

„Warum ich?“, fragte Natalja. „Ihr braucht einen dritten Homo und kein Mädchen.“

„Wir sind eifersüchtig aufeinander“, erklärte einen von ihnen. „Wir sind am Anfang unserer Beziehung, noch nicht so lange zusammen. Deshalb brauchen wir für dieses Experiment doch ein Mädchen.“

Natalja hätte nie gedacht, dass ein Arsch als Tunnel für kleine Nagetiere benutzt werden könnte.

Am Ende kehrte ein Hamster aus dem dunklen, stinkenden Loch nicht zurück und begann, den Schwulen von innen zu beknabbern.

„Oh je, wie hat dieser Arschficker geheult und gewinselt!“ Er hüpfte wild herum und versuchte, das Nagetier herauszuschütteln. Der andere rief eilig den Rettungswagen. Dabei machte er Natalja Vorwürfe, weil sie die Tiere falsch in den Arsch hätte laufen lassen. Sie hätte sie angeblich nicht mit den Zähnen, sondern mit Hinterteil nach vorn hineinschieben sollen. Dann würde das Fell von innen kitzeln und so für den Orgasmus sorgen.

Natalja empfahl dem Arschficker, dorthin zu gehen, wo der arme Hamster gerade stecken geblieben war, nahm ihr Geld und ging, den nächsten Auftrag zu erfüllen. Als sie im Taxi saß, beschnupperte sie sich selbst. Sie hatte das Gefühl, nach Scheiße und weißen Ratten zu stinken, die sich vor ihren Augen braun färbten.

Stella platzte vor Lachen.

„Puh! Natalja, lass mich zu Atem kommen! Ich habe Schluckauf wegen deiner wilden Geschichten.“

Das alles interessierte sie. Es war eine andere Welt voll unglaublicher Geschichten, die sie aus erster Hand zu hören bekam.

Die Monate vergingen. Es gab viel zu tun, sie stritten immer weniger. Das Leben bekam einen Arbeitsrhythmus, der sowohl lehrreich, als auch interessant war.

Die Kunden waren unterschiedlich, teils kompliziert und anspruchsvoll, teils unproblematisch und witzig. Unter ihnen gab es ungewöhnliche Persönlichkeiten: Verkäufer und Käufer, Immobilienmakler, Banker und andere Geschäftsleute. Omas, die ihre Häuser und Wohnungen den Enkelkindern oder den Zeugen Jehovas vermachten.

Stella bemerkte, dass Natalja morgens etwas ramponiert ins Büro kam. Ihr war klar, dass die Freundin nachts ihrem alten Gewerbe nachging. Leider war diese echte Nymphomanin nicht einmal durch einen anständigen Bürojob zu bessern. Sie führte mit Natalja ein heftiges Gespräch und verbot ihr strengstens, auf den Strich zu gehen. Es bestand ernsthaft die Möglichkeit, unter den Freiern auf Kunden ihres Büros zu treffen. Natalja wollte natürlich keine Belehrungen hören. Sie versuchte, die Freundin in ihr so genanntes Privatleben nicht einzuweihen.

Der Niedergang des Imperiums durch Fickgeschichten

So kam der schreckliche Tag, an dem das Imperium der zwei Freundinnen unterging.

Artschik wurde von der Polizei wegen Menschenhandels verhaftet. Er fand sich schnell zurecht und lieferte Natalja und Stella mit ihren ganzen schmutzigen Geschäften ans Messer. Er erzählte von ihren gefälschten Diplomen, um selbst einer Freiheitsstrafe zu entgehen. Der Fall wurde unverzüglich an die Staatsanwaltschaft abgegeben, geriet aber, Gott sei Dank, auf den Tisch eines Bekannten von Stella, der selbst in Machenschaften verwickelt war, die mit der Eröffnung ihres Büros zusammenhingen. Leider war er gezwungen, diesen großen Fall an die Öffentlichkeit zu bringen. An diesem Tag ging alles den Bach hinunter.

Ewgeni Pawlowitsch fuhr zum Notariat der Gaunerinnen. Hastig schaute er sich nach allen Seiten um und ging schnell herein.

Stella sah den Leiter der Staatsanwaltschaft vom Fenster aus. Ihr Herz raste, als ob sie einen Marathon gelaufen wäre. Sie hatte ein schlechtes Gefühl. Er kam ins Büro und sah ihr schweigend in die Augen. Als ob sie seine Gedanken gelesen hätte, fragte Stella mit heiserer, verlorener Stimme:

„Wieviel Zeit haben wir?“

„Ein paar Minuten. Ins Auto, schnell!“

„Gibst du uns zehn Minuten? Ich muss etwas von unten aus dem Safe holen.“

„Im Gefängnis hast du zehn Jahre Zeit! Wenn dein Anwalt gut genug ist“, giftete er zurück.

„Wofür?“, schrie Natalja, die wie versteinert dastand und dem Gespräch zuhörte.

„Für Urkundenfälschung, illegale Benutzung eines staatlichen Notarsiegels und für Prostitution!“ Der Mann blickte in Richtung der Tür, neben der diejenige stand, die wegen des letzteren Delikts angeklagt werden könnte.

Stella errötete bei diesem Vorwurf, als ob sie selbst dieses Verbrechens beschuldigt würde. Die tatsächliche Hure dagegen lächelte ruhig über das ganze Gesicht. Sie sah aus wie eine Frau, die ein Kompliment bekommen hatte.

Die Freundinnen gingen schweigend den Korridor entlang, wo Kunden mit ihren Dokumenten saßen und auf deren Beglaubigung durch einen falschen Notar warteten. Mit großem Bedauern schaute Stella auf Nataljas Rücken, die vor ihr schritt und die Hüften wiege, als ob sie aus Gummi wären. Wegen des losen Plappermauls dieser schmutzigen Nutte drohte ihr grandioser Lebensplan zu zerfallen.

„Ihr müsst umgehend euer Geld von allen Konten abheben, bevor euer Vermögen samt den Bankkonten beschlagnahmt wird“, sagte Ewgeni.

„Schnell zur Bank!“

Bei der Bank war nicht so viel Bargeld vorrätig, wie sie angefordert hatten. Ewgeni musste einige Leute anrufen, die über die nötigen Beziehungen in der Bankwelt verfügten. Für diesen Rettungsdienst forderte er von jedem Mädchen je 5.000 Dollar. Die beiden Freundinnen brauchten nicht zu antworten, denn die Frage selbst klang schon bejahend.

Dabei erklärte er, dass die Fahndung nach ihnen eingeleitet würde, sobald man die Fälschung der Diplome bewiesen habe, was sehr bald passieren könnte.

„Wie bald? In einer Woche? Einem Monat?“

„Alles hängt von der Antwort aus Lugansk ab. Wer ist in die Sache verwickelt, den Verkauf der Diplome und so weiter?“

„Dahinter stecken ernstzunehmende Leute! Die Diplome sind mit den Original-Siegeln versehen.“

„Wenn es so ist, Stella, dann wird die Überprüfung sicher mehrere Monate dauern. Aber für euch ist es das Beste, wegzufahren, damit ihr nicht im Untersuchungsgefängnis landet. Lasst die anderen damit klarkommen.“

„Verstanden. Hab vielen Dank!“

„Sagt Bescheid, falls ihr nochmal Hilfe braucht, ihr kleinen Schwindlerinnen!“, scherzte der Staatsanwalt.

„Auf Wiedersehen, Ewgeni!“ Stella umarmte den Freund. Ihre Augen wurden feucht. „Danke dir für alles…“

Die Mädchen verließen die Stadt. Unterwegs mieteten sie ein schickes Haus, kauften sich Lebensmittel und jede Menge Alkohol. Sie saßen am Kamin, tranken und wechselten kein Wort miteinander.

Stella brach das Schweigen. Nach der ersten geleerten Flasche war sie praktisch noch nüchtern.

„Am besten wäre es, das Land zu verlassen.“

Natalja war den Tränen nahe.

„So ein Arschloch, dieser Artschik! Ein Schweinehund! Das Land verlassen?“ Das Mädchen schluchzte. „Und meine Mutter? Meine Familie?“

„An die Familie hättest du früher denken müssen! Du hast in einer Notarkanzlei mit gefälschten Papieren gearbeitet, bist auf den Strich gegangen und hast dabei noch deinen Zuhälter gevögelt! Was hast du eigentlich erwartet? So naiv kann man doch gar nicht sein!“

Natalja kam schweigend auf Stella zu. Es sah aus, als ob sie Angst hätte, Stella würde sie beißen. Sie umarmte ihre Freundin und seufzte wie ein Kind.

„Verzeih mir! Das wollte ich nicht!“ Lass uns irgendwo hingehen, nur, bitte, verlass mich nicht!“

Aber Stella konnte nicht ihr alles einfach so verzeihen. Sie schrie ihr ins verweinte Gesicht:

„Wegen dir, du Schlampe, sind alle meine Träume kaputtgegangen! In einem Augenblick! Das ganze Geld! Endlich hatte ich ein anständiges Auskommen! Und alles ist zusammengebrochen! Alles! Ich hasse dich! Warum hast du mit deinem verdammten Gewerbe nicht aufgehört? Für eine schöne Zukunft? Was hat dir gefehlt? Hattest du nicht genug Geld? Warum musstest du dich mit irgendwelchem Lumpenpack als Nutte herumtreiben? Eine schöne Notarin bist du! Hol dich der Teufel! Dreckige Schlampe! Man sieht es dir gleich an, was du für eine billige Schnalle bist! Du hast allen erzählt, dass du Notarin bist. Dabei warst du besoffen und auf Eсstasy. Hast die Bar vollgesabbert und bist vom Hocker gefallen.“

„Aber du, Stella! Du bist so ein braves Mädchen, das noch nie Tabletten genommen hat! Säuferin! Du trinkst Bier und Whiskey literweise wie ein Mann! Und erzählst mir irgendeinen Stuss! Spielst hier die Zimperliese! Dabei schläfst du mit Männern, genau wie ich! Bloß umsonst! Also wer ist hier billig? Natürlich! Dafür mögen dich alle! Weil du's gratis mit ihnen treibst!“

Stella hörte den Schwall von Vorwürfen schweigend an. Vielleicht war sogar etwas dran. Wenigstens zum Teil könnte Natalja recht haben. Aber Stella war schlicht und einfach nicht fähig, für Sex Geld zu nehmen.

Die Leidenschaften legten sich und die Freundinnen konnten etwas schlafen. Am Morgen rief Stella alle Agenturen an, die Mädchen ins Ausland vermittelten. Am Abend kam die Leiterin einer solchen Agentur zu ihnen. Sie brachte alle Unterlagen mit, die erforderlich waren, um Arbeitsverträge für Einsätze von drei, sechs oder acht Monaten im Jahr in verschiedenen Ländern abzuschließen. Die Mädchen saßen am Tisch und sahen sich verschiedene Varianten für die nächste Zeit an. Stella interessierte sich für die USA und die Schweiz, Natalja dagegen nur für die Schweiz, weil sie dort Bekannte hatte. Bei dem Job ging um Stangentanz und Alkoholkonsum. Laut Vertrag wären sie verpflichtet, mindestens sechs Mal pro Nacht an der Stange zu tanzen und dazwischen mit Kunden alkoholische Getränke aller Art zu trinken. Wenn ein Gast ein Glas Champagner für ein Mädchen bestellte, das im Klub als Tänzerin tätig war, kostete ihn das sechzig Schweizer Franken, also circa fünfundfünfzig Dollar. Davon erhielt das Mädchen zehn Prozent. Wurde eine ganze Flasche Champagner bestellt, sei es Dom Perignon, Belle Epoque, Krug, Veuve Clicquot oder gewöhnlicher Moet & Chandon, stand dem Mädchen natürlich eine höhere Kommission zu, weil eine einzige Flasche Krug locker zweitausend Franken kosten konnte. Der Champagner floss in Strömen in den Klubs der Millionäre. War das Mädchen nicht im Stande, so viel zu trinken, war es erlaubt, Getränke auf den Boden oder an die Wand zu schütten; diese waren mit einem Teppich bedeckt, der die Flüssigkeit sofort aufnahm. Die Kunden sollten das nicht bemerken, alles musste heimlich vor sich gehen. Jeden Morgen kam der Reinigungsdienst mit spezieller Ausrüstung und spülte Tausende von Dollar von den Wänden des Lokals. Es war möglich, mit Kunden gegen Geld zu schlafen, aber keine Pflicht. Die Mädchen konnten das tun, wenn sie den Wunsch hatten. Im Klub gab es speziell ausgestattete Zimmer, so genannte Separees, wo man mit dem Kunden zu einem privaten Tanz oder einfach zum Trinken allein sein konnte. Dafür musste er eine Flasche Champagner im Wert von mindestens dreihundert Franken, circa zweihundertsiebzig Dollar, bezahlen. Wer das Mädchen ins Hotel mitnehmen wollte, musste dafür dem Klub tausend Franken zahlen, also etwa neunhundertfünfzig Dollar, dazu das Honorar für die Schöne nach Absprache. Die Mädchen verlangten normalerweise auch einen Tausender für sich selbst. Feilschen war natürlich möglich. Der Lohn betrug zweitausendzweihundert Franken im Monat plus Kommission von Alkoholkonsum und Ausgängen mit Kunden. Der Gesamtverdienst konnte, je nach Arbeitseifer und natürlich Gesundheitszustand, zehntausend Franken im Monat erreichen. Die Arbeit ging nachts vor sich, immer von 10 Uhr abends bis zum frühen Morgen. Für die Wohnung wurden vierhundert Franken im Monat fällig. Sie befand sich gewöhnlich im selben Gebäude, im oberen Stock. Das Verlassen des Klubs war nur mit Erlaubnis des Besitzers möglich. Treffen mit Kunden außerhalb des Lokals waren verboten.

Stella warf einen Blick auf Natalja, die an die Decke starrte, als ob die letzte Bedingung des Klubs nicht in ihrer Gegenwart vorgelesen würde.

„Wenn sie aus diesem Job auch noch gefeuert wird…“, dachte das Mädchen, beschloss aber, das ohnehin komplizierte Verhältnis zu ihrer Freundin nicht weiter anzuheizen.

Natalja senkte den Kopf und rief:

„Ist mir alles recht! Ich fahre in die Schweiz! Juh!“

Sie hob ihr Weinglas und hielt inne. Sie schaute Stella an.

„Oh, sorry! Wir fahren in die Schweiz! Nicht wahr, Liebes? Ich zittere schon vor Aufregung! Millionäre! Champagner! Geld! Was wünscht man sich mehr? Tanzen kann ich! Und tausend Dollar pro Nacht? Das ist ja elitär! Erste Klasse! Ich zeige allen, wie man das macht! Das ist keine Arbeit wie bei euch im Notariat, wo es so langweilig war! Auf diesem Gebiet bin ich wie ein Fisch im Wasser! Das ist mein Milieu!“

Stella sah düster und blass aus. Das Tanzen lag ihr nicht, dafür aber das Trinken! Das konnte sie gut! Oh! Dauersuff!

„Haben Sie zufällig einen Vertrag ohne Tanzen? Nur mit Trinken?“, fragte Stella mit einem aufgesetzten Lächeln.

„Für die Schweiz leider nicht. Das Visum bekommen Sie als Künstlerin, und zwar als Tänzerin. Das wissen Sie doch, Kollegin.“

„Ja. Ich habe schon Mädchen dorthin geschickt, aber ich habe sie zum Preis von hundert Dollar pro Kopf angeboten und sie direkt mit dem Unternehmer in Kontakt gebracht. Auf die Einzelheiten, wie das System funktioniert, bin ich nicht eingegangen. Leider“, sagte Stella und warf einen brennenden Blick auf die zufriedene Natalja. Dieser waren die Sticheleien schon egal, für sie ihr war alles in Butter, genau, wie sie es haben wollte.

„Die Schweiz ist ein interessantes Land, das aus drei Teilen besteht. In allen drei werden unterschiedliche Sprachen gesprochen.

In Zürich zum Beispiel spricht man Deutsch. Sie haben dort ein kompliziertes System. Die Mädchen sollen splitternackt sein, sogar ohne Slips, praktisch während der ganzen Show.

In Genf, das im französischen Teil liegt, werden am Ende des Liedes die Bikinis ausgezogen.

In Lugano, wo die italienische Sprache vorherrscht, soll der Slip gar nicht ausgezogen werden. Man zeigt sich nur oben ohne. Aber auch das nicht unbedingt.“

„Wie werden denn dann in Lugano die Kunden ins Lokal gelockt?“

„Dort arbeiten im Klub Balletts aus Charkow, je dreißig Tänzerinnen in einer Truppe. Mit ihren schicken Shows bezaubern sie die Italiener, die einen Flirt und ausgiebiges Vorspiel mögen. Sie haben keine Lust, mit kalter Miene auf nackte Weiber zu starren und dabei keine Emotionen zu zeigen, wie es im deutschen Teil der Fall ist.“

Nataljas Interesse wurde sofort von Genf, dem goldenen Mittelweg, geweckt.

„Den Slip am Ende des Tanzes, und davor die Brustwarzen an der kalten Stange reiben! Schnell her mit den Unterlagen!“, schrie die Nymphomanin fast.

„Mademoiselle will nach Genf! Voilà!“

Ein glückseliges Lächeln erstrahlte in ihrem Engelsgesicht.

„Grundkenntnisse in Französisch habe ich. Das ist Schicksal! Wäre ich da nur gleich hingefahren, dieses Paradies auf Erden zu erobern, statt mich auf kriminelle Sachen einzulassen.“

Stella hörte nicht, was Natalja da redete. Mit einem traurigen Gefühl studierte sie die Vertragsbedingungen für den Einsatz in anderen Ländern.

Darunter waren England, Australien, Schweden, Japan, Deutschland, die Türkei und Italien. Sie las alle nacheinander durch. Ihr fiel ein merkwürdiger Name auf: Liechtenstein.

„Was ist das?“

„Das ist ein kleines Land in den Alpen. Genau genommen ein Zwergfürstentum. Dort herrscht ein Fürst.“

„Noch kleiner als die Schweiz? Dort wohnen doch schon weniger Menschen als in Moskau!“

„Ja, genau, absolut winzig. Ein kleines Wunder, wo alle reichen Leute ihr Geld verstecken. Unsere Millionäre haben sich dort ganz schön eingenistet. Sie lagern riesige Guthaben bei verschiedenen Banken, Stiftungen und Gesellschaften. Viele Restaurants geben auf den Speisekarten keine Preise an, weil den Gästen völlig egal ist, was die bestellten Gerichte kosten könnten. Sie sind so wohlhabend, dass sie essen gehen können, ohne sich um Preise zu kümmern.“

„Klingt nicht schlecht. Das klingt sogar verlockend!“, sagte Stella. „Welche Bedingungen gelten dort?“

„Ein sehr grausames System. Nichts als die reine Prostitution. Die Männer kommen dorthin ausschließlich zu geschäftlichen Verhandlungen und für Business. Sie haben keine Zeit für lange Affären. Außerdem ist Prostitution dort legal. Die Mädchen erhalten dafür ein Prostituiertenvisum. Das kann auch einen Einfluss auf das spätere Leben des Mädchens in Europa haben. Wenn ein Mädchen heiraten und ein normales Leben führen will, ist ihr Ruf in den Augen des Staats leider beschädigt.“

„Oh nein! Dann ist das nichts für mich!“, erklärte Stella.

„Und auch nicht für mich! Mein Bruder ist bei der Polizei und mein Vater ist Priester!“ Die Freundinnen brachen in Gelächter aus.

Die Stimmung wurde mehr oder weniger freundschaftlich. Die Mädchen tranken guten Wein und plauderten über die Details.

„Stella! Du kannst aufhören, so ein böses Gesicht zu machen! Lass uns nach Genf gehen!“

„Nein! Ich kann doch gar nicht tanzen! Schon gar nicht nackt! Wenn ich mir bloß vorstelle, wie ich mit runtergelassenem Slip auf einer Bühne stehe und alle Männer starren mich an! Ich müsste ihn wohl gleich ausziehen, weil ich sonst nichts habe, was einen Blick wert wäre!

Mein Zinnsoldatentanz würde bei den Männern wohl kaum auf Interesse stoßen. Vor allem, wenn der Zinnsoldat auch noch sturzbetrunken ist, weil er sich mit eine Liter Wodka Mut angetrunken hat. Das Publikum müsste vor Angst erstarren, weil es fürchtet, dass die besoffene Gestalt jemandem wie ein Klotz auf den Kopf fallen könnte.“

„Haha! Stella! Du kannst einen echt zum Lachen bringen! Ich habe noch nie so einen selbstkritischen Menschen wie dich getroffen!“

„Ich bin eben leider Realistin.“ Stella kratzte sich im Nacken und brach in Gelächter aus.

Darja beobachtete verwirrt die beiden Freundinnen, die vor Lachen beinahe erstickten, und überlegte, wie sie am schnellsten diese Irrenanstalt mit zwei Verrückten verlassen könnte.

„Ich weiß selber schon nicht mehr, wohin ich gehen soll! Einen Fürsten würde ich auch gerne ficken!“, rief Natalja.

Darauf folgte wieder eine Gelächterexplosion! Diesmal lachten alle drei.

„Fahr nach Genf! Deine Entscheidung ist gefallen. Stella? Hast du dich entschieden?“

„Ah ja, entschuldige bitte. Wir vergeuden deine Zeit mit unseren dummen Witzen.“

„Macht nichts. So was erlebe ich auch nicht jeden Tag. Ich habe Spaß mit euch, Mädchen.“

„Also, Stella!“, rief Natalja. „Das Tanzen bringe ich dir schon bei! Wenn es möglich ist, heißt das! Deine Titten sind gar nicht schlecht. Im Dunkeln würden sie super aussehen.“

Da beschloss Stella endgültig, mit diesem sexbesessenen Ungeheuer nirgendwohin zu gehen.

„Ich gehe nach Japan“, sagte Stella eiskalt, als sie den Vertrag zu Ende gelesen hatte. Sie fand sich schön. Auch ihre Brüste. Aber sie wollte ihre Reize ganz sicher nicht jedem zeigen.

„Ich finde, das ist die richtige Entscheidung! In diesem wunderbaren, märchenhaften Land wirst du, Stella, alles finden, was du dir wünschst. Tanzen ist gar nicht nötig. Und Sex haben die Japaner nur in ihrer Fantasie. Dann hast du dich also entschieden?“

„Ja.“

Erzähl mir bitte von den Vertragsbedingungen und den Anforderungen des Klubs. Was habe ich von Schlitzaugen zu erwarten?“

„Auf einen japanischen Vertrag muss man normalerweise ein halbes Jahr warten. In Städten wie Tokio noch länger. Aber ich habe eine Last-Minute-Anfrage aus Nagasaki. Ein Mädchen hat den Vertrag aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt. Deshalb kannst du in zweieinhalb Monaten fliegen, wenn wir sofort ein Visum beantragen würden. Der Klub heißt Chorus Line. Der Chef dort ist ein schöner, hochgewachsener junger Mann. Tanzen ist nicht nötig, weil alle Mädchen dort tanzen. Die Nacht ist gar nicht lang genug, dass alle an die Reihe kommen.“

„Sind die Tänze so beliebt? Hat das einen Grund?“

„Ich erkläre es euch. Während der Show dürfen die Mädchen den Gästen Blumen verkaufen. Jede Blume kostet ungefähr zehn Dollar. Das Trinkgeld des Mädchens hängt davon ab, wieviel Blumen sie verkauft. Die Blumen sind aus Kunststoff. Viele Tänzerinnen verdienen auf diese Weise genug für ihr Essen und die Kleidung während der ganzen Vertragsdauer. Den Lohn legen sie auf die Seite.“

„So! Hast du gehört, wie der Job zu machen ist, Stella? Du hättest natürlich die ganze Vertragszeit mit stolzer Miene rumgesessen und deinen ganzen Lohn ausgegeben oder im Suff verschleudert. Du großzügige Seele! Und wahrscheinlich würdest du auch noch einen Japaner mit Babypimmel finden und dich in ihn verlieben! Ha! Ha! Ha!

„Lass mich in Ruhe, Natalja! Du bist betrunken! Erzähl weiter, Darja.“

„Wo waren wir?“

„Bei Tänzen und Blumen.“

„Ah ja. Das mit den Tänzen haben wir geklärt. Das war in Ordnung für dich. Aber der Verdienst dort ist sehr gering, kein Vergleich mit der Schweiz. Rechnet man den japanischen Yen in Dollar um, macht das ungefähr fünfhundert Dollar im Monat.“

„Aha! Das ist lächerlich! Stella wird niemals drauf eingehen!“

„Halt den Mund oder geh ins Bett!“

„Ich bin schon still. Excuse moi, Mademoiselle.“

„Womit wir dort überhaupt Geld verdient?“

„Mit den Getränken, wie in der Schweiz. Aber dort kann man einen gewöhnlichen Saft oder Tee trinken.“

„Och, helft mir! Ich ersticke vor Lachen! Stella trinkt Tee! Und den Whiskey trinkt sie hinterher!“

„Erzähl weiter, Darja“, zischte Stella streng. Sie wurde nervös. Sie wollte sich möglichst schnell von Darja verabschieden, ein Glas Whiskey kippen und niemanden mehr um sich herum hören.

„Also. Den Flug, die Versicherung und die Wohnung bezahlt ihr selbst. Die Miete ist nicht hoch, weil ihr zu sechst in einer Einzimmerwohnung untergebracht werdet. In Doppelstockbetten wie in einem Kinderferienlager.“

„Oh Gott.“

Natalja versuchte, das Lachen niederzukämpfen. Sie wurde rot wie eine Tomate.

„Der Vertrag läuft sechs Monate.“

„Wieviel Geld verdienen die Mädchen normalerweise während der gesamten Vertragsdauer?“

„Wer es nicht schafft, ein paar Kunden auszunehmen, bekommen ab fünftausend Dollar. Diejenigen, die mehr Glück haben, bringen viel Geld mit nach Hause. Sie kaufen sich Wohnungen und Autos, Villen und Landhäuser. Sie bekommen riesige Beträge überwiesen, auch nachdem sie Japan schon verlassen haben. Die Japaner mögen blonde Schönheiten. Viele von ihnen sind bereit, ein paar hunderttausend Dollar hinzublättern, um so eine Spezialität zu kosten.“

„Ooooo! Jetzt habe ich Lust, mitzufliegen, Stella! Ich würde die Schlitzaugen mein wildes Fleisch genießen lassen. Was meinst du, wieviel gelbe Typen könnte ich pro Nacht ficken? Drei Minuten für jeden und mit einer Zigarettenpause? Ha! Ha!

„An dir habe ich keine Zweifel. Du Naturtalent! Du hast schon mehrmals glänzend bewiesen, was du kannst!“

„So. Ich muss dir noch alles über den Flug erzählen. Wir bestellen Tickets mit Umsteigen in München und in Fukuoka. Das richtige Gate würdest du doch finden, oder? Sprichst du Englisch?“

„Ja.“ Damit habe ich kein Problem.“

„Hier hast du das ganze Unterlagenpaket. Oh, hätte ich fast vergessen! Um dein Visum zu bekommen, musst du nach Moskau. Und der Flug nach Japan startet von dort aus.“

„Ok. Ich bin einverstanden.“

„Womit bist du einverstanden, Stella? Mit Moskau? Wir dürfen doch nicht über die Grenze und zurück!“

„Zurück will ich nicht. Möchtest du nicht ein paar Monate in Moskau verbringen, Natalja? Und dann von dort aus fliegen?“

„Geht das denn? Natürlich will ich das! Keine Frage! Moskau, ich komme! Freu dich auf deinen Star!“

„Abgemacht“, antwortete Stella mit einem Lächeln. Sie war zufrieden, dass Natalja ihre Idee ohne besondere Erklärungen und Fragen aufgegriffen hatte.

Erst jetzt begriff Stella, dass die Beziehung zwischen ihnen beiden während dieser ganzen Zeit fast verwandtschaftlich geworden war.

„Wo auf der Welt findet man den Menschen, der einen auf Anhieb versteht? Natalja weiß, in was für einer Situation wir stecken. Uns droht Gefängnis. Moskau ist keine schlechte Option für Leute, die untertauchen wollen. Dort wird uns ganz sicher niemand suchen. Vielleicht wäre es besser, mit ihr zusammen nach Genf zu gehen?“, fiel ihr ein. Aber schon im nächsten Augenblick gewann die Vernunft wieder die Oberhand über Stellas Schwäche. „Oh nein! Du solltest eine Pause von dieser Beziehung nehmen!“ Da sprach plötzlich ihr zweites, nüchternes Wesen.

„Wieso bewegst du die Lippen, Stella? Du siehst aus wie ein Fisch.“

„Ich rede mit meinem Schatten.“

„Frag ihn doch, ob er tanzen kann. Und ob er mit mir nach Genf fährt. Oder ist er genau so blöd wie du?“

„Lass mich in Ruhe!“

Die Arbeit mit Natalja im Notariat war ein ständiger Stress gewesen. Hätte Stella allein ihre Gaunereien betrieben, hätte niemand sie je entlarvt. Aber wer weiß, was und wie noch alles passieren könnte. Natalja hatte sie immer unterstützt und ihr auch mit ihrem Wissen weitergeholfen.

Darja unterbrach Stellas Gedankengang.

„Also, Mädels, ich muss gehen. Unterschreibt bitte die Papiere und bleibt in Kontakt. Danke.

„Danke dir für alles, Darja! Bitte entschuldige, wenn wir zu viel geredet haben.“

„Ach was! Es war doch ein angenehmer Abend. Ihr seid echt cool!“

„Und Kohle hast du auch gemacht! Hick, hick!“ Es war Nataljas Stimme. Ihre Worte wurden von Schluckauf unterbrochen. Stella errötete. Wie immer schämte sie sich für ihre Freundin. Es entstand der Eindruck, dass sie sich für Nataljas Verhalten schämen musste, weil dieser das entsprechende Gefühl gänzlich fehlte. Man sagt doch, die Menschen müssen einander ergänzen.

Lange saßen die Freundinnen schweigend beisammen, als ob sie Abschied voneinander genommen hätten. Merkwürdigerweise drängten sich ähnliche Gedanken in den Köpfen beider Mädchen.

„Wie wird es sein, allein in ein fremdes Land zu fliegen? Was erwartet uns? Werden die Veränderungen positiv oder negativ ausfallen?

Werden wir am Flughafen verhaftet, bevor wir ins Ausland fliegen?“

Leider blieben diese Fragen ohne Antwort.

So viel war in dieser Zeit passiert: Höhen und Tiefen, Lustiges und Trauriges, Liebe, Glück und Leid. Nun lagen vor ihnen andere Länder und Städte! Japan und die Schweiz oder schwedische Gardinen und Häftlingssuppe.

Plötzlich erinnerte sich Natalja an Zeilen aus einem Lied von Iwan Kutschin, das einer ihrer Kunden gesungen hatte. Der kahlköpfige Knastbruder hatte eine Strafe für Betrug, und zwar besonders schweren Betrug, abgesessen.

Natalja stand aus dem Schaukelstuhl am Kamin auf, ging ins Haus, nahm aus dem Kühlschrank eine Flasche Weißwein, schenkte zwei Gläser ein, reichte eines der Freundin und fing an zu singen:

  • „Oh du böses Schicksal,
  • Schau dich nur um!
  • Mein Leben ist keinen Groschen wert,
  • Es geht bergab.
  • Ich zerbreche mir den Kopf,
  • Aber ich werde klüger!
  • Ich erfahre, was schrecklicher ist,
  • Tod oder Knast…“

„Mein Gott! Was singst du da? Soll ich einen Herzinfarkt kriegen?“

„Ich will, das du lächelst.“

Stella nippte an ihrem Wein und sagte mit einem Lächeln:

„Danke, Liebes. Du hast mich von trüben Gedanken abgelenkt.“

„Vorsicht! Trübsal führt zu Alkoholismus.“

„Dann muss ich wohl oft betrübt sein.“

„Am kränksten wird ein Russe durch eine gesunde Lebensweise.“

„Fall nicht ins Koma bei dem Gedanken, dass du ein halbes Jahr von Zwergen statt von Schweizer Millionären gevögelt wirst! Hahaha!“

„Dabei braucht man nicht ins Koma zu fallen!“

In der Dunkelheit erschallte ein so lautes Lachen, dass in manchen Häusern das Licht eingeschaltet wurde und Hunde zu bellen begannen.

„Jag deine philosophischen Gedanken weg, Stella! Die sind so unlogisch. Dabei dachte ich früher, dass gerade du eine große Strategin wärst.“

„Bring mich nicht zum Lachen. Lass mich ein bisschen traurig sein!“

„Wollen wir zusammen traurig sein? Sag, was du gerade denkst!“

„Ich denke darüber nach, wie ich mit den Schlitzaugen reden soll. Ich muss mir wohl ein Wörterbuch kaufen und diese verdammte Schrift lernen.“

„Du bist dumm, Stella! Hast du das alles etwa nötig? Du willst ans andere Ende der Welt fliegen und ein halbes Jahr lang weder Geld noch normale Männer haben. Schau mal, wo ich hinfahre! Nach Genf! Liebe mich auf Französisch, Junge! Es kostet dich nur tausend Mäuse! Das ist der Preis! Sie bekommen kein Rabatt, Monsieur! O là là!

„Haha! Du bist auch nicht schlauer, Natalja!“

„Wollen wir unsere Abreise nach Moskau planen? Weg mit den trüben Gedanken!“

„Das ist eine prima Idee.“

Am nächsten Morgen fingen die Mädchen an, auf der Suche nach einer Wohnung systematisch die Moskauer Immobilienmakler anzurufen. Nachdem sie die Mietpreise in der russischen Hauptstadt kennen gelernt hatten, waren die beiden Freundinnen bald gar nicht mehr abgeneigt, zusammen zu wohnen. Trotzdem bereitete sich jede von ihnen auf den herankommenden Tsunami vor, auch wenn keine darüber sprach.

„Dies darfst du nicht, lass das sein! Diese langweilige Stella macht mich noch verrückt!“

Selbst Saweli mit seinen endlosen Geschichten und das Studentenwohnheim erschienen ihr zu diesem Zeitpunkt als bessere Alternativen zu einem Leben unter der Aufsicht von Gestapo-Stella.

Stella erlebte eine Art Explosion der Emotionen. Dabei wollte sie eigentlich dasselbe: Männer, Sex, Drogen, Rock 'n' Roll. Sie war nervlich am Ende und dachte, dass ihre Reise ins Land der Zwerge ihre letzte sein würde. Man würde sie zwingen, Dinge zu tun, die sie nicht wollte. Sie sollte jede Nacht arbeiten und saufen – das hielt sie für eine völlig unsinnige Zeitverschwendung ohne jede Hoffnung auf Entwicklung, etwas für Schwachsinnige. Sie gehörte nicht zu denen, die sich dem Willen ihres Chefs beugen oder brav und pünktlich zur Arbeit kommen. Es schien, dass dieser Weg zum vollständigen Zerfall ihrer Persönlichkeit, zur Auflösung all ihrer Ideale und Prinzipien führen würde. Stella beschloss, es sich bis zur Abreise noch einmal gut gehen zu lassen und das Leben in vollen Zügen zu genießen. Dabei goss Natalja Öl ins Feuer und sparte nicht mit komischen Sprüchen:

„Du wirst einen Japaner heiraten und einen engstirnigen kleinen Jungen mit dem winzigsten Pimmel der Welt gebären. Hahaha!“

„Und deine Tochter wird Frösche fressen! Hahaha!“

„Dafür werde ich eine Madame und du bloß eine Geisha!“

„Sehr witzig.“

Es war ein herrlicher Tag. Scherzhaft planten die beiden Mädchen ihre Zukunft.

Stella hatte nicht die Absicht, länger in Japan zu bleiben. In ihrem Fall war die Auswahl an Verträgen nicht groß. Ihre Witze über Sohn und Tochter der anderen dagegen erreichten anscheinend Gottes Ohr.

Aber darauf werden wir später zurückkommen.

Eine ganze Woche verbrachten die Mädchen im Vollrausch. Sie stritten und versöhnten sich wieder, während sie auf die Reiseunterlagen warteten.

Als alles fertig war, fuhr Natalja in Darjas Büro, um die rettenden Papiere persönlich abzuholen. Das Büro der Vermittlerin befand sich im gleichen Häuserblock wie Nataljas Wohnung. Sie konnte der Neugier nicht widerstehen und beschloss, bei sich vorbeizuschauen. Das war äußerst gefährlich. Aber es war ihr egal. Sie stieg zu ihrem Stockwerk hinauf und sah, dass die Wohnungstür verplombt war. Schreckliche Angst überkam sie. Erst in diesem Moment begriff sie den ganzen Ernst ihrer Lage. Natalja lief aus dem Gebäude wie ein Hase und zu dem Haus, wo ihre Freundin auf sie wartete. Schreiend rannte sie zu ihr hinein.

„Wir müssen schnell packen! Sie suchen schon nach uns!“

„Wir werden längst gesucht. Weißt du das denn nicht? Hast du die Unterlagen abgeholt?“

„Ja!“ Ich habe alles dabei! Lass uns sofort aus diesem verfluchten Haus verschwinden!“

„Ich bin so weit. Ruf ein Taxi. Ich glaube, wir müssen nach Charkow fahren und von dort aus fliegen.“

„Einverstanden.“

„Wer hat dir gesagt, dass wir gesucht werden? Hast du bei Artschik auf einen Abschiedsfick vorbeigeschaut? Wolltest du ihm erzählen, wo du hinfährst? Hahaha!“

„Stella, du bist natürlich sehr witzig, aber mir ist gerade nicht zum Lachen. Ich war bei meiner Wohnung!“ Natalja kniff die Augen zusammen und wartete auf die Schelte der Freundin. Aber diesmal reagierte Stella gar nicht so heftig:

„Das war dumm.“

Bald kamen die Mädchen in Charkow an. Die Stadt gefiel ihnen. Sie sah ziemlich gepflegt, man könnte sogar sagen, trendy aus. Es gab viele junge Leute, allerlei Unterhaltungsmöglichkeiten und Partys. Natalja wollte natürlich zum Barabaschowo-Markt. Er zog sie an wie ein Magnet, denn dort konnte man eine ganze Garderobe für wenig Geld ergattern. Auf diesem gigantischen Markt, der rund um die Uhr geöffnet zu sein schien, gab alles zu kaufen, selbst die nötigen Teile, um eine Bombe zu basteln.

Die resolute Blonde mit den brennenden Augen tauchte sofort in die Menschenmenge ein, die aus verschiedensten Nationalitäten bestand. Sie verschwand so schnell, als ob das schwarze Marktgewühl sie einfach eingesaugt hätte, ohne die kleinste Spur von Weiß zu hinterlassen. Stella schaute ihr nach. Wie unpassend sah der weiße Fleck vor dem schwarzen Hintergrund aus. So kann ein gerade gewachsener Mensch unter Buckligen wie eine Missgestalt erscheinen.

Stella ging durch die Menge auf der Suche nach einer Wohnung oder einem Zimmer. Sie hatte einen Wunsch, ein paar Tage in dieser tollen Stadt zu verbringen. Sie wollte sich abends in einem Klub ein bisschen entspannen. Aber zuvor musste sie eine Wohnung mieten und am nächsten Schalter ein Flugticket nach Moskau kaufen.

Sie traf eine Frau mit einem Schild, auf dem geschrieben stand: „Wohnung zu vermieten“, und fragte nach.

„Es ist ein abschließbares Zimmer in einer Zweizimmerwohnung. Im anderen Zimmer wohnt ein Mann aus Moldawien, der hier auf dem Markt als Lastträger arbeitet. Er hat einen engen Zeitplan, geht um 4 Uhr morgens aus dem Haus und kommt spät am Abend wieder. Die Küche wird geteilt. Die Miete ist niedrig.“

„Okay. Ich nehme das Zimmer. Könnten Sie noch einen Augenblick warten, bitte? Meine Freundin kommt in einer Stunde zu dem Café da drüben.“

„Gut. Dann bin ich in einer Stunde wieder da.“

„Abgemacht.“

Natalja wurde wütend, als sie von Mietbedingungen erfuhr.

„In einem Zimmer? Bist du verrückt geworden? So kann ich doch niemanden für die Nacht mitbringen!“

„Wir haben einen Haufen Geld bei uns! Und Wertsachen! Du darfst niemanden mit in die Wohnung bringen! Geh ins Hotel oder zu deinem Freier nach Hause!“

„Die meisten wohnen bei ihren Müttern! Du kennst doch unsere Kundschaft. Penner und Versager sind gut im Bett. Männer, deren Gehirn wenigstens ein bisschen funktioniert, können nicht länger als dreißig Minuten.“

„Hahaha! Danke für die Info. Ich werde mir dümmere Typen aussuchen.“

„Ich sterbe vor Lachen.“

Das Zimmer gefiel den Mädchen. Es war geräumig, mit einem großen Bett und Balkon.

„Wow! Der Fickplatz ist ja riesig!“

„Ein altertümliches Großmutterbett für witzige Leute mit Fantasie…“

Die Tür zum zweiten Zimmer stand halb offen. Stella schaute hinein, um den Nachbar zu begrüßen, aber er war nicht da.

„Seltsam. Wo ist unser Nachbar?“

„Ich glaube nicht, dass er schon zu Hause ist. Gewöhnlich fährt er bis zum späten Abend Waren in die Lager.“

„Schließt er sein Zimmer nicht ab?“

„Wahrscheinlich hat er gedacht, dass er hier allein wohnen könnte, bei der winzigen Miete, die von ihm kassiere“, sagte die Vermieterin sarkastisch. „Moldawier sind eben doof.“

Die Frau schrieb mit kluger Miene die Daten aus den gefälschten Pässen ab, nahm das Geld mit der Geschicklichkeit einer erfahrenen Taschendiebin und verließ die Wohnung.

Ohne zu zögern untersuchten die Mädchen das Zimmer des Moldawiers und fanden einen Safe. Er war natürlich nicht in die Wand eingebaut. Er stand einfach in einem Schränkchen und war so groß, dass die Tür des Schränkchens nicht mehr zuging.

„Hahaha! Er ist wirklich doof!“

„Ja, das kann man nicht anders sagen“, schmunzelte Stella. „Schönes Bild.“

„Wollen wir ihn zersägen? Oder gucken wir den Code mit einem Spiegel um die Ecke ab, wenn er kommt?“

„Abgucken wäre wohl am besten. Wenn es nicht klappt, lassen wir den Safe auf dem Markt zersägen. Das dürfte eine halbe Stunde dauern.“

„Dort, wo er arbeitet. Hahaha! Trinken wir inzwischen einen Kaffee?“

„Schenk ein. Den haben wir von unserem Moldawier.“

Die Mädchen hörten, wie sich das Türschloss öffnete. Sie hatten die Spiegel parat, als ob sie vorausgeahnt hätten, was ihr Nachbar tun würde. Ohne die fremden Menschen in der Wohnung zu bemerken, ging er gleich zum Safe, um das an diesem Tag verdiente Geld hineinzulegen. Laut sagte er die Zahl: „7326.“ Die Mädchen standen versteckt in den Ecken, hielten die Spiegel bereit und versuchten, das Lachen zu unterdrücken. Stella hielt es nicht mehr aus und wieherte los. Der arme Moldawier erschrak fast zu Tode. Er sprang beiseite, die Adern an seinem Hals traten hervor. Erst schrie er wie am Spieß, dann wurden seine Worte klarer:

„Was machen Sie in meiner Wohnung?“

„Ist das Ihre Wohnung? Oh, entschuldigen Sie bitte! Wir brauchen Mehl. Haben Sie eine Prise?“

„Hahahaha!“

„Das ist nicht lustig! Ich wäre fast vor Schreck gestorben!“

„Wir auch.“

„Dürfen wir uns vorstellen? Ich heiße Wassilissa.“

„Die Schöne?“

„Sehe ich etwa nicht so aus?“

„Entschuldigung, aber in der Dunkelheit kommen Sie mir eher wie eine Hexe vor.“

„Ich bin Warwara“, stellte sich Stella mit einem unterdrückten Lächeln vor.

„Sie haben merkwürdige Vornamen. Ich heiße Wadim. Oder einfach Wadik.“

„Das ist uns schon klar, dass es bei Ihnen einfach zugeht. Vielleicht würde Wadja auch passen? Hahaha!“

„Machen Sie sich lustig über mich, junge Frau?“

„Oh nein, gar nicht! Wir sind ernsthafte, gute Studentinnen.“

„Dann bin ich froh, Sie kennenzulernen. Kommen Sie in die Küche? Trinken wir einen Kaffee zusammen? Aber zuerst muss ich in die Dusche und mich umziehen.“

„Hast du gesehen, Stella?“ sagte Natalja in der Küche. „Er ist vielleicht doof, aber er hat einen gescheiten Code für seinen Safe.“

„Hahaha! Ich mache mir in die Hose vor Lachen. So ein Held!“

Eine Stunde lang saßen sie mit Wadim in der Küche bei einer Flasche Wodka. Zu essen gab es von Öl triefende, kalte und zerdrückte tatarische Teigtaschen, die Wadim vom Markt mitgebracht hatte. Dazu servierte er allerlei Geschichten. Er kaute mit so viel Enthusiasmus, dass ihm die Bröckchen aus dem Mund flogen. In diesem Moment schworen sich die Mädchen im Stillen, nie mehr tatarische Teigtaschen zu essen. Ein unsäglicher Gestank begleitete jeden Witz, über den meist nur Wadim lachen musste.

„Bring ihn nicht zum Lachen, Natalja! Sonst ersticke ich.“

Stella unterbrach das Gespräch, als der Nachbar zu erzählen begann, wie er auf dem Markt das Mädchen vom Jeans-Stand geküsst hatte, dem das angeblich sehr gefiel. Sie blickte auf den mit Öl geschmierten Mund des Möchtegern-Verführers und verspürte Brechreiz.

„Ich gehe ins Bett.“

„Warum, Stella? Es ist doch so lustig! Oder wollen wir lieber ausgehen?“

„Wir haben morgen ein Ding zu drehen. Oder beklauen wir ihn doch nicht? Entscheide du.“

„Doch, natürlich tun wir das!“

„Dann gehen wir schlafen.“

„Okay.“

Am Morgen, als das Stinktier zur Arbeit gegangen war, öffneten die Mädchen den Safe.

„Oh! Er hat ganz schön viel zusammengespart. Das dürften fünf volle Monatslöhne für ihn sein. Jetzt lass uns sehen, dass wir die Wohnung weitervermieten.“

„Du packst unsere Sachen und wartest hier auf mich, als ob du die Vermieterin wärst. Ich gehe auf den Markt und suche einen neuen Mieter für die ganze Zweizimmerwohnung. Versteck bitte seine Sachen so, dass es nicht so aussieht, als ob hier jemand wohnt.“

„Okay.“ Warte mal, Stella! Lass uns ein Schild schreiben: „Wohnung für längere Zeit zu vermieten“. Versuch, jemanden gleich für ein Jahr zu finden. Mit ein paar Monatsmieten als Kaution. Und ich mache inzwischen schnell einen Langzeitmietvertrag beim Notar unten. Ich nehme ein leeres Formular, damit es glaubwürdig aussieht.“

„Finde ich toll!“ Dann sehen wir uns in ein paar Stunden.“

„Bitte bring das alles so schnell wie möglich hinter dich. Sonst kommt am Ende unser Nachbar vor dir zurück.“

„Mach dir keine Sorgen, das schaffen wir.“

Auf dem Markt wurde das Mädchen mit dem Schild gleich von einem hochgewachsenen, stattlichen Mann angesprochen.

„Vermieten Sie eine Wohnung?“

„Ja, eine Zweizimmerwohnung.“

„Wie hoch ist die Monatsmiete? Gehört die Wohnung Ihnen?“

„Ich bin eine Freundin der Eigentümerin. Sie muss dringend abreisen und hat mich gebeten, ihr zu helfen.“

„Sie sind also keine Maklerin?“

„Nein.“

„Was für ein Glücksfall!“

„Da haben Sie allerdings Glück. Ich bin wirklich keine Maklerin.“

„Wissen Sie, ich bin heute Morgen in ausgezeichneter Stimmung und mit einem guten Gefühl aufgewacht.“

„Dann wollen wir keine Zeit verlieren und schauen uns die Wohnung an. Die Vermieterin wartet schon auf uns.“

„Seien Sie bitte ehrlich: Verlangen Sie wirklich keine Gebühr für Ihre Dienstleistung?“

„Nein. Wir sind Freundinnen seit Kindertagen. Sie muss heute fort und braucht deswegen meine Hilfe. Es fällt mir nicht schwer, diesen Freundschaftsdienst gratis zu leisten.“

„Das ist sehr selten heutzutage! Ihre Freundin hat Glück mit Ihnen. Sie sind ein guter Mensch.“

„Oh, und was für ein guter Mensch“, dachte Stella. Laut sagte sie zu dem Mann:

„Freundschaft ist auch eine Art Arbeit. Das Prinzip „Wie du mir, so ich dir“ funktioniert hier nicht. Man muss geben können, ohne von den Menschen eine Gegenleistung zu erwarten. Dann kommt auch ein gutes Resultat. Nicht alles ist käuflich. Am wenigsten die Freundschaft!“

„Sie sind eine wahre Philosophin!“

„Nein, ich bin Linguistin.“

„Wie interessant! Welche Sprachen können Sie?“

„Englisch, Deutsch, Russisch, etwas Ukrainisch.“

„Bei uns in Lugansk kann auch fast keiner Ukrainisch, obwohl die Stadt zur Ukraine gehört.“

„Oh! Lugansk? Das ist eine tolle Stadt! Dort war ich auch schon mal.“

„Ich bin ein einfacher Polizist und suche hier einen Job.“

„Merkwürdig, dass Sie auf der Jobsuche gerade nach Charkow gekommen sind. Ich glaube nicht, dass die Löhne hier so hoch sind. Die Gastarbeiter gehen lieber nach Russland.“

Ihr war das Herz in die Hose gerutscht.

„Sie haben recht. Aber ein Freund von mir ist hierher versetzt worden und hat mich und meine Familie hergerufen. Er sagt, hier gäbe es mehr Chancen, befördert zu werden.“

Verdammt! So eine Scheiße! Ein Bulle! Und noch dazu aus meiner Heimatstadt!“

„Ich glaube, die Vermieterin wäre mit so einem zuverlässigen Mieter sehr zufrieden. Ich dachte sogar schon, Ihnen allein würde sie die Wohnung vielleicht gar nicht vermieten. Sie hätte lieber ein Paar oder eine Familie als einen alleinstehenden Mann, weil ledige Männer zu Ausschweifungen neigen, und das kann allerlei Ärger geben.“

„Ach was! Ich bin Ehemann und Vater! Und ein anständiger Bürger! Meine Ehefrau kommt bestimmt mindestens zweimal im Monat zu Besuch.“

„Das ist doch schön. So, wir sind da.“

Natalja stand in der Küche und briet Kartoffeln, als ob ihr die Wohnung wirklich gehörte. Es war ein ausgezeichneter Trick zur Ablenkung. Sie trug eine Schürze und hielt eine geschälte Zwiebel in der Hand.

„Genial“, dachte Stella. Nataljas spontane Schlauheit und ihr Improvisationstalent beeindruckten Stella immer wieder.

„Guten Tag!“ Nata lächelte über das ganze Gesicht. Ihr Brustansatz war wie zufällig im Ausschnitt der Schürze zu sehen.

Der Mann ließ diese Tatsache nicht unbeachtet. Seine Haltung wurde aufrecht, als ob er seine Ernsthaftigkeit zeigen wollte.

„Jetzt haben wir dich, Täubchen!“, dachte Stella.

Sie atmete endlich ihre ganze Anspannung mit einer Wolke Zigarettenrauch aus. „Da ist er wieder! Der schreckliche Charakter der Männer! Sie bleiben anständige Familienväter bis zu dem Augenblick, in dem sie schöne Titten zu sehen bekommen. In Wirklichkeit leben alle guten Frauen allein. Ich glaube, es dauert nicht mehr lange, bis die Frauen einfach allein leben wollen. Sie gehen abends aus dem Haus, um ihre Triebe zu befriedigen, kommen dann entspannt zurück und verbringen den Abend in Ruhe vor dem Fernseher oder bei irgendeinem anderen Hobby. Das Leben mit Mann bringt nur jede Menge zusätzliche Pflichten und raubt einen Haufen wertvolle Zeit und Ruhe. Und zum Dank bekommen wir Frauen nur Vorwürfe und Untreue.“

„Stella! Komm rein! Was stehst du da wie versteinert?“

„Entschuldige, Natalja. Ich habe gerade über Feminismus nachgedacht. Ich rauche noch fertig und komme rein.“

In der Küche herrschte eine lebhafte Unterhaltung. Natalja hatte die Schürze schon ausgezogen und trug nur noch ein kurzes Kleid. Sie beugte sich über den Bullen und zeigte ihm, wo er seine Passdaten eintragen sollte.

„Bitte nicht so schnell“, sagte er höflich.

„Entschuldigen Sie bitte, aber Sie schreiben so langsam, dass ich schon Angst habe, meinen Flug nach Tschita zu verpassen. Können Sie sich bitte beeilen?“

„Ja, natürlich. Sagen Sie, was ist das für ein Formular? Es sieht anders aus als bei uns in Lugansk.“

„Sie sind in jeder Stadt anders. Sie sehen wie ein gebildeter Mensch aus und wussten das nicht?

„Leider nicht. Aber jetzt weiß ich's.“

Er unterzeichnete den Mietvertrag mit einer Kaution für drei Monate. Natalja legte schnell die Bratkartoffeln auf den Teller, schob ihn zu ihm zu und sagte lächelnd:

„Essen Sie bitte. Ich muss noch einige Sachen packen.“ Sie verschwand hinter der Tür des Nebenzimmers. Stella stand an der Tür gerade wie ein Soldat und beobachtete, wie der Mann mit dem Lächeln eines unschuldigen Jünglings die Kartoffeln verputzte.

„Guten Appetit“, sagte Stella laut und störte seine Euphorie. Er wandte ihr schnell das Gesicht zu, aber sein Interesse an ihr schien weniger ausgeprägt zu sein.

„Eine nette Frau, nicht wahr?“

„Ja, sie ist sehr nett. Alle mögen sie, durch die Bank“, erwiderte Stella. In seinen Augen blitzte ein Hoffnungsschimmer auf.

„Sie haben großes Glück, so eine Wohnung und so eine Vermieterin zu finden“, sagte Stella mit einem schelmischen Augenzwinkern zu ihrem Landsmann.

Endlich stand Natalja abreisebereit vor der Tür.

„Verzeihen Sie, ich habe es sehr eilig. Hier haben Sie die Schlüssel. In ein paar Monaten komme ich Sie besuchen. Machen Sie sich bequem.“

„Danke schön.“ Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen. Bringen Sie den Duft nördlicher Nächte mit“, erwiderte der Mann mit einem Lächeln.

„Sie sind ja auch noch ein Romantiker!“

„Oh ja, das bin ich!“

Die Mädchen verließen die Wohnung. Langsam und laut lachend gingen sie aus dem Haus und bogen um die Ecke.

„Und jetzt… weg hier!“

Sie ließen mehrere Gassen hinter sich und gingen im Passantenstrom auf.

„Danke! Wie bist du nur darauf gekommen, einen Bullen mitzubringen?“

„Er kommt aus meiner Stadt!“

„Hast du ihn etwa absichtlich ausgewählt? Um einen Landsmann auszunehmen? Oder aus Mitleid? Mit einem Obdachlosen?“

„Ahahaha! Ich platze vor Lachen, Natalja! Ich stelle mir das Gesicht des Moldawiers vor, als er einen Bullen in der Wohnung vorfindet.“

„Das würde ich gerne sehen. Eine Kamera installieren und sich die Reality-Show anschauen.

„Bringen Sie den Duft nördlicher Nächte mit!“ Pardon, aber davor müsstest du an vergammelten tatarischen Teigtaschen riechen und ein Gespräch mit dem Moldawier überstehen, was gar nicht so einfach wäre.“

Am Flughafen wimmelte es von Menschen. Etwas sagte Stella, sie sollten nicht nach Moskau fliegen. Wenn der Moldawier nach Hause käme und den Fall der Polizei meldete, würden wohl alle Flughäfen sofort durchsucht werden.

Andererseits wussten sie, dass er ein Date hatte und schon angekündigt hatte, dass er spät zurückkommen würde. Umziehen würde er sich eher nicht, er war ja ein begehrter Bräutigam auf seinem Markt. Das war gewiss komisch, trotzdem war in ihrer Situation besondere Vorsicht geboten.

„Wollen wir lieber mit dem Bus fahren? Vorsichtshalber“, schlug Stella vor. „Wir einigen uns direkt mit dem Busfahrer, dann brauchen wir unsere Pässe nicht an der Kasse zu zeigen. Das wäre sicherer.“

„Ja, du hast recht.“

Zum ersten Mal hörte Stella demütige Worte von ihrer Freundin. Unterwegs zum Busbahnhof wechselten sie bange Blicke und wurden erst ruhiger, als sie im Bus saßen.

„Uh! Moskau glaubt den Tränen nicht. Und uns auch nicht.“

„Nein, Stella. Uns glauben alle.“

„Tja, das sollten sie lieber nicht tun.“

Die Reise war mühsam und schien kein Ende zu nehmen. Im Bus stank es nach Essen. Eine Gruppe Männer trank die ganze Zeit Bier, aß dazu getrockneten Fisch und ließ den anderen Fahrgästen keine Ruhe. Auf ihren Handys lief Musik wie die der Band Leningrad. Der Fahrgastraum war widerlich muffig und dumpf.

In Moskau angekommen gingen die Mädchen gleich, sich die Wohnung anzuschauen, die sie im Voraus reserviert hatten.

Die Bude sah anständig aus. Sie lag in der Nähe der U-Bahnstation Otradnaja. Es gab zwei Zimmer mit Balkon und eine separate Küche. Die Fußbodenheizung stellte in einer so kalten Stadt wie Moskau einen besonderen Vorteil dar.

„Wie lange wollen Sie hier wohnen?“, fragte die Maklerin.

„Mindestens zwei Monate. Das hatte ich Ihnen doch am Telefon gesagt.“

„Gut. Aber ich muss das Datum Ihres Auszugs zehn Tage im Voraus wissen.“

„Wir melden uns, wenn es so weit ist. Danke.“

Als sich die Tür hinter der Maklerin schloss, umarmten sich die Mädchen und hüpften vor Glück herum. Sie redeten überschwänglich von der Zollkontrolle an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland. Unterwegs hatten sie keine Möglichkeit gehabt, dieses empfindliche Thema unter vier Augen zu besprechen.

„Ich war kurz vorm Herzinfarkt, als der Zollbeamte meinen Pass anstarrte wie die Mona Lisa.“

„Mein Herz hat eine Minute ausgesetzt! Ich habe mich schon auf einer kalten Knastpritsche gesehen.“

„Es gab wenig Licht an der Grenze und der Zollbeamte war schläfrig oder ganz betäubt von dem Gestank im Bus.“

„Tja, dieser Gestank hat uns geholfen, ohne böse Überraschung über die Grenze zu kommen.“

„Ich habe echt Angst gehabt. Wir sind ja Verbrecherinnen. Früher oder später finden sie uns auch in Russland.“

„Das wird sie aber schon etwas Mühe kosten“, erwiderte Natalja.

„Weißt du, ich würde inzwischen auch einen Japaner heiraten, wenn ich nur nicht ins Gefängnis muss.“

„Erzähl mir keine Horrorstorys. Ich würde lieber in den Knast gehen, als einen Japaner zu heiraten.“

„Nur gut, dass ich nach Genf gehe. Dort leben wenigstens normal große, weiße Menschen mit richtigen Augen. Schade, dass du nicht mitkommst. Das wirst du eines Tages bereuen.“

„Ich kann nicht so schnell und plötzlich nach Genf. Das wäre für mich der Horror gewesen.“

Bis die Dokumente fertig waren, fickte Natalja die Hälfte der männlichen Bevölkerung Moskaus durch.

Stella kam mit ihr mit, lernte einen sympathischen Jungen kennen und zog mit ihm durch die Klubs oder von einer Party zur anderen. Natalja konnte zuerst kaum glauben, dass Stella nicht mehr so langweilig war und das Klugscheißen aufgegeben hatte. Im Gegenteil, sie gab mit einem Mal ordentlich Gas. Außerdem lernte Stella Japanisch. Sie begann mit ein paar Sätzen, die eine Frau braucht. Ihre Schuhgröße zum Beispiel, siebenunddreißig, hieß auf Japanisch „san ju nana“. Dazu kamen viele andere Wörter, bei denen es meistens um die Bestellung von Speisen und Getränken im Restaurants ging. Sie fand diese Sprache cool, wenn auch ein bisschen ulkig.

Natalja lernte Französisch. Sie plauderte per Skype mit allen möglichen Franzosen rund um den Globus in der Hoffnung, eine der schwierigsten Sprachen der Welt zu erlernen. Das wollte sie so schnell wie möglich erledigen und kam dabei sehr gut voran. Natalja versprach jedem im Chat, gerade ihn bald in Frankreich zu besuchen. Natürlich freuten sich die Männer auf diese Aussichten und übten mit der schönen Gaunerin stundenlang ihre Sprache. Wie immer lief alles unter ihrem Motto: Alle sind Scheiße, und ich bin Königin!

Die Mädchen nutzten ihre Zeit in der russischen Hauptstadt gut. Mehr als fünfzehn Geschäfte nach fast dem gleichen Schema fädelten sie ein. Aber die Maßstäbe in Moskau waren schon um einiges größer. Statt Wohnungen vermieteten sie ganze Arbeiterhostels. Kaum waren die Bewohner zur Arbeit gegangen, brachten sie neue Brigaden auf deren Plätze. Die Unterkünfte wurden schnell bezogen, den Mietern legten sie gefälschte Eigentumsdokumente vor. Gewöhnlich achteten die Leute nicht besonders auf die Echtheit des Notarsiegels oder Stempels. Es wäre aber hilfreich, den Menschen beizubringen, wie man solche Situationen vermeidet, in die sie meist durch ihren eigenen Leichtsinn geraten. Seit damals sind mehr als zwölf Jahre vergangen. Inzwischen sind die Menschen vorsichtiger geworden. Es gibt nun Überwachungssysteme, Kameras, kurzum, Fortschritt.

Der Tag des Abschieds rückte näher. Stella sollte die Reise als erste antreten, weil ihr Platz früher reserviert war. Ihre Nerven wurden allmählich schwächer. Sie war gereizt. Stella hatte den Eindruck, dass alles was sie tat, völliger Unsinn oder jedenfalls ein Fehler war. Außerdem ihre Beziehung zu Nikita sie nicht zur Ruhe kommen. Den Mann, mit dem sie letzte Monate verbracht hatte, konnte sie nicht vergessen. Er war ein gebürtiger Moskauer, höflich, angenehm, still und ruhig. Er beeilte sich nie wirklich, erledigte aber trotzdem alles rechtzeitig. Zu Stella war er zärtlich, umarmte sie, streichelte und küsste ihre Hände. Das Mädchen dachte, sie hätte ihr Glück und ihre Ruhe gefunden. Er war groß, sogar sehr groß, hatte dunkles Haar und braune Augen. Sie hatte sich ihr Glück immer mit solchen braunen Augen vorgestellt. Einen leidenschaftlichen Liebhaber konnte man ihn kaum nennen, aber er war von zärtlicher Ausdauer. In seinen Armen bekam sie am ganzen Körper Gänsehaut vor Lust. Genau so nannte sie ihn in Gedanken: „meine Gänsehautliebe“.

Die Emotionen in dieser Beziehung konnte man natürlich nicht mit elektrischen Ladungen vergleichen, aber Nikita war doch keine schlechte Wahl.

Stella hatte ihn nicht ernst genommen. Sie liebte bewegliche Menschen und Sport. In ihrer Schulzeit hatte sie an verschiedenen Wettbewerben teilgenommen. und meistens gewonnen. Dafür gab sie hundert Prozent, koste es, was es wolle. Sie hatte sich mit kräftigen, sportlichen Jungen getroffen, die einen starken Charakter hatten und Wort halten konnten. Stella sagte, sie möge echte Männer, keine Schwuchteln. Nikita sah dagegen eher wie ein warmer Bruder als wie ein harter Mann aus. Ein Weichling mit dünnen Ärmchen. Beim Sex mit ihm spielte Stella immer die erste Geige.

Stella verabschiedete sich von ihrem guten Nikita, der mit dem gekränkten Gesicht eines unglücklichen, verlorenen Kindes dastand. Sein Aussehen weckte Stellas mütterliche Gefühle. Sie brach in Tränen aus. Im Gegensatz zu ihm wusste sie sehr gut, dass es ihr letztes Treffen war.

Natalja saß wütend zu Hause und wartete auf Stella.

Sie war sauer auf ihre Freundin, weil diese ins Land der Zwerge reiste und sie im Stich ließ. Dafür fand sie einfach keine Erklärung. Vieles veränderte sich in der Beziehung der Mädchen während dieser letzten Zeit. Natalja hatte sich an ihre „Schlange“ gewöhnt, und vielleicht liebte sie sie sogar ein wenig. Oder war es nur die gewöhnliche Angst, allein zurückzubleiben, die die arme Blonde quälte? Als Stella in die Wohnung kam, sah sie das besorgte Gesicht der Weggefährtin und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. In dieser Minute tat es ihr leid, dass sie diese überstürzte, unbesonnene, auf Emotionen und Ressentiments beruhende Entscheidung getroffen hatte. Der verdammte Job als Notarin und der gemeinsame Arbeitsalltag hatten sie beide restlos aufgefressen. Skandale und andere Probleme brachten sie dazu, den Schritt zu gehen, den sie vor drei Monaten gewagt hatten.

Aber heute! Heute ist alles anders! Ganz anders! Ich bin selber schuld! Mein verdammter Charakter! Ich konnte nicht nachgeben! Ich dachte, so wäre es besser! Sie hat mich verrückt gemacht mit ihren Zicken! Aber warum ist das nicht mehr wichtig? Alles ist vor meinen Augen anders geworden! In kurzer Zeit! Ich will in dieses verfluchte Genf! Scheiß auf das Tanzen! Das kann ich lernen! Aber nein, jetzt ist nichts mehr daran zu ändern…

„Ich komme! Du wirst sehen!“

„Ich warte auf dich! Jetzt schon! Du bist noch gar nicht weg, du Schlange! Aber ich warte schon auf dich!“, rief das Mädchen durch ihre Tränen.

Sie gingen hinaus auf die Straße. Das Taxi war bereits da. Natalja knallte die Tür zu, als Stella im Wagen saß. Sie versuchte die Lage zu entspannen, indem sie vor dem Autofenster eine Äffin darstellte, die sich mit einem Finger stieß. Das sollte Sex mit Japanern bedeuten. Stella brach in ein heiseres Gelächter aus, das durch die Tränen aus ihrer Seele brach. Diesen Moment behielten die beiden Mädchen für immer in Erinnerung.

Allmählich kam auch für Natalja die Zeit, sich auf die Abreise vorzubereiten. Sie lief im Galopp durch ganz Moskau, um sich so viele rosa und hellgrüne Striptease-Kleider wie möglich schneidern zu lassen. Sie kaufte Highheels, die so hoch waren, dass sie ihr mindestens zwanzig Zentimeter zusätzliche Körpergröße einbrachten. Sie ließ ihre Haare verlängern, freilich ohne jeden Grund, besorgte sich verschiedene Körpercremes mit Glitzer, weil sie meinte, sie hätte Zellulitis an den Oberschenkeln, die aber nur für sie selbst sichtbar war. Sie nahm noch ein paar Stunden Pole-Dance-Unterricht, um ihre Professionalität zu überprüfen. Sie ließ Begleitmusik für ihre Show aufnehmen. Sie erledigte alles, was sie vor der Abreise noch hatte tun wollen.

Sie vermisste Stella sehr. Die spitzzüngigen Ratschläge und die Kritik der Freundin fehlten ihr. Sie telefonierten meistens nachts. Wenn Stella aufwachte, war in Japan schon heller Tag, aber in Moskau, wo sich Natalja befand, herrschte noch tiefe Nacht, etwa um drei Uhr morgens. Natalja schrie Stella an, weil sie sie immer aufweckte. Aber meistens hielt sich Natalja um diese Zeit in einem der Klubs der Stadt auf, wie immer, mit weiß Gott wem. Mit Vergnügen plauderte sie mit ihrer Freundin über alles. Die Gespräche in angeheiterter Stimmung hatten den Effekt, dass ihre Freundschaft zu einer festen, unzerbrechlichen Verbindung wurde. Beide waren der Meinung, dass sie sich noch nie so prächtig verstanden hätten wie jetzt. Stella erzählte, sie habe sich durch ihre neuen, unglaublichen Erlebnisse völlig verändert und die Angst vor der Tanzstange überwunden. Jetzt tanze sie im Klub in einer Show. Das sehe zwar noch eher wie ein Samurai-Tanz aus, als wie der weibliche Auftritt einer Geisha, aber sie gebe sich große Mühe. Und sie habe sogar gelernt, kopfüber an der Tanzstange zu hängen. Innerhalb eines Monats habe sie ziemlich zugenommen. Alkohol und leckeres Essen hätten noch niemanden zu einer vollkommenen Körperform gebracht. Die Japaner lüden sie jeden Tag in verschiedene Lokale ein, wo vier Meter lange Tische voll mit Leckereien aus Fisch und Meeresfrüchten beladen seien. Gewöhnlich nehme ein Japaner eine ganze Gruppe von Mädchen mit. Anscheinend solle das seine Solidität unterstreichen. Im Klub arbeiteten ungefähr zwanzig Personen. Acht von ihnen seien Rumäninnen. Sie seien heruntergekommen und hämisch wie Zigeunerinnen. Sie hassten Russinnen und Ukrainerinnen, stritten und kämpften um jeden Kunden.

Seltsamerweise höre der Besitzer auf sie und glaube ihnen aufs Wort, als ob er von Voodoo-Puppen verhext wäre. Aber Stella müsse zugeben, dass sie sehr schön und arbeitsam seien und gut tanzten.

Sex mit Kunden sei verboten. Viele Mädchen hätten Verehrer außerhalb des Klubs und ließen sich von ihnen aushalten. Aber im Klub selbst dürften sie nur trinken und tanzen, sonst nichts. Gleich nach ihrer Ankunft habe sie es, wenig überraschend, geschafft, sich mit dem reichsten Klubgast zu zerstreiten. Sie hätte angeblich zu laut geredet. Seitdem lasse man sie nicht mehr mit ihm trinken, was zur Minderung ihres Lohns geführt habe. Aber Stella saufe sich allein in der Klubküche den Mut zum Pole Dance an.

„Braves Mädchen! Scheiße!“, dachte Natalja. „Stille Wasser sind tief…“

Die Schicht dauere von abends um acht bis vier Uhr morgens. Danach gehe sie schleunigst in die Bar und schieße sich dort total ab. Entweder aus Langeweile und Kummer oder aus Freude, der Grund sei ihr selbst unklar.

An den Wochenenden gehe sie in eine Disco, wo Schwarze Breackdance tanzten. Ein Japaner beginne sie anzumachen. Der schöne, hochgewachsene Mann habe sie eingeladen, am Wochenende mit ihm Disneyland zu besuchen. Er heiße Jamoguchi. Natalja fiel fast um, als sie diesen Namen hörte.

„'Ich bin mächtig'? Ernsthaft? Ahahahaha!“

Stella wusste, wie man die Leute zum Lachen bringt. Es war auch interessant, etwas über die Männerprostitution und den Alkoholkonsum zu erfahren. Stella erzählte, wie Männer bei Frauen an der Bar um einen Drink bettelten und versuchten, sie auf verschiedene Art und Weise zu belustigen. Sie tanzten, sangen, machten akrobatische Kunststücke, zog die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich, so gut sie konnten, um auf deren Kosten zu trinken. Dabei ließe sich seltsamerweise nicht gleich erkennen, ob es Japaner waren oder Philippiner.

Die Geschichten über die kleinen Japaner machten Natalja derart Spaß, dass sie mit Ungeduld auf jeden Anruf ihrer Freundin wartete. Alles Neue und Unbekannte lockte sie.

Als sie nach langen Gesprächen in die Disco zurückkam, konnte sie sich oft nicht mehr daran erinnern, mit wem zusammen sie gekommen war. Einmal ging Natalja noch fast nüchtern auf einen Mann im blauen Hemd zu, mit dem sie glaubte, den Abend angenehm verbringen zu können, und begann ihn zu umarmen, ohne sein überraschtes Gesicht zu bemerken. Da tauchte vor ihr ein anderer Typ mit einem ebenso blauen Hemd, fragendem Blick und geballten Fäusten auf und fragte:

„Mit wem bist du denn hierhergekommen?“

Die kuriose Situation endete damit, dass sie, auch als der zweite Mann im blauen Hemd vor ihr stand, diese Frage nicht klar und adäquat beantworten konnte. Frech betrachtete sie die Gesichter der beiden und versuchte, darin bekannte Züge zu erkennen.

Das Warten auf den Vertrag war eine Qual für Natalja. Sie wurde des Herumsitzens in den Bars bald überdrüssig. Die blöden Arschlöcher, die sie dort traf, waren nach ein paar Flaschen sowieso alle gleich. Deshalb beschloss Natalja, in Erwartung eines Wunders, selbst Stella anzurufen und sie nach den neuesten Ereignissen in ihrem Leben zu fragen.

„Moschi, Moschi!“ So meldet man sich in Japan am Telefon.

„Hallöchen, meine Süße! Was machst du gerade?“

„Ich saufe, vor lauter Sehnsucht nach dir.“

„Klasse, ich auch.“

„Na, erzähl mir von deiner Arbeit. Was machst du da alles? Ich brauche schmutzige Details!“

„Es gibt leider keine!“

„Ah so! Also, leider sagst du, trotz allem?“

„Ich würde gerne mal die Sau rauslassen, wenn du das meinst! Aber hier ist tote Hose!“

„Ich bin so traurig ohne dich! Alle kommen mir so einerlei und uninteressant vor.“

„Glaub mir, in der Ukraine sind die Typen top! Hier in Japan sind sie alle gleich. Ich komme auf die Arbeit, gehe in die Umkleide, schminke mich und mache Frisur. Das Haar muss schön frisiert sein, so steht es im Vertrag. Um punkt zwanzig Uhr muss ich mit allen anderen an einem großen Tisch in der Mitte des Klubs sitzen und auf Kunden warten. Wenn der erste Kunde erscheint, stehen alle Mädchen auf und grüßen:

„Konbanwa.“ – Guten Abend auf Japanisch. Der Japaner geht langsam weiter, schaut sich die Mädchen an und nimmt im Saal Platz. In diesem Moment beginnt das Showprogramm mit dem Blumenverkauf.

Erinnerst du dich, wie Darja uns davon erzählt hat?“

„Ja, vage. Und was weiter?“

„Nachdem der Gast sich hingesetzt hat, führt eine Mitarbeiterin des Klubs, sie werden Hostess genannt, die Mädchen zu seinem Tisch. Der wählt aus, oder lädt sie alle ein, sich zu ihm zu setzen. Bei einem Japaner können mehrere Mädchen sitzen, wenn er bereit ist, für sie alle Getränke zu bestellen, die gerade nicht billig sind. Die Auswahl an Drinks ist nicht groß. Saft, Pflaumenwein oder Rum mit Cola. Alle Getränke werden dem Kunden zum gleichen Preis angeboten. Aber nach meiner Ankunft wurde der Rum von der Karte gestrichen. Sie haben dort noch nie gesehen, dass ein Mädchen so viel trinkt.“

„Ahahaha, bald machen sie das auch mit dem Wein! Dann bleibt dir nur noch der Saft.“

„Ich? Saft? Dann müsste ich mir eine Flasche mitbringen, unter meiner Kleidung versteckt.“

„Erzähl weiter! Es ist so interessant!“

„Dann sitzt er so stolz da, als ob sein Schwanz länger wäre als fünf Zentimeter, umgeben von Mädchen, und schaut sich die Show an. Die Mädchen wechseln sich immer wieder ab, je nach dem, wer gerade mit dem Tanzen an der Reihe ist. Das wird dann alles am Tisch besprochen, begleitet von Witzen, wer welche Titten hat oder welcher Tanz besser war. Komisch sind sie schon, offen gesagt. Unsere Kerle oder die Russen hätten gleich alle begrabscht. Aber die Japaner sitzen bloß rum, bewegen sich kaum und reißen Witze über Sex, den sie wohl nur aus Büchern kennen.“

„Unsere Männer sind die besten! Auch wenn sie gerissene Mistkerle sind! Aber unsere Mistkerle! Apropos, ich habe einen neuen Freund!“

„Erschreck mich nicht, Natalja! Wer ist er?“

„Er heißt Ljonja. Und nach Genf will ich nicht mehr.“

„Bist du dir sicher, dass er wirklich so heißt? Woher kennst du ihn? Gestern gab es ihn noch nicht!“

„Hör auf zu lästern. Das ist Liebe auf den ersten Blick!“

„Bring mich nicht zum Lachen! Willst du nicht mehr nach Genf? Wird Ljonja dich im Zuchthaus besuchen?“

„Stella, mit dir kann man einfach nicht über Romantik reden!“

„Warum denn nicht? Ist die Geschichte von Natalja und Ljonja, der seine Geliebte im Knast besucht, etwa nicht romantisch?“

„Verdirb mich nicht die Laune! Erzähl mir lieber von den kleinen japanischen Pimmeln. Was macht dein Jamoguchi?“

„Na, was soll ich denn noch erzählen? Man sitzt ein wenig herumgesessen, dann tauscht das Personal die Mädchen aus. Diejenigen, die dem Gast nicht gefallen haben, werden weggebracht. Es bleiben meistens die Rumäninnen. Die können Fremdsprachen und labern wie ein Wasserfall. Ich kann das leider nicht. Dafür habe ich ihnen ein Münzenspiel um Geld beigebracht. Jedes Spiel zehn Dollar. An einem Abend kann man damit hundert Dollar verdienen.“

„Wie geht das Spiel? Ich würde gerne die Schweizer in Genf ausnehmen.“

„Du wirst das kaum brauchen. Du wirst sie mit anderen Spielen um mehrere hundert Dollar bringen. Hahahaha!”

„Ich will so sehr zu dir! Sogar nach Japan! Ich langweile mich. Ohne dich passiert nichts in Moskau. Aber ich will Abenteuer erleben.“

„Es geht doch morgen schon los! Hurra! Dich erwartet viel Neues, Unbekanntes und Schönes. Ich stelle mir vor, wie du aus einem Flugzeug steigst, mit einer sauteueren Schweizer Uhr am Handgelenk und mit einem Millionär am Arm. Ich treffe euch am Flughafen und freue mich im Inneren über deine Siege.“

„Oh ja! Stella! Genau so wird es sein. Ich habe schon meine Sachen gepackt. Ich bin gleichzeitig froh und traurig und ängstlich. Gemischte Gefühle vor der Ungewissheit. Ich will nicht über traurige Sachen reden. Erzähl weiter, was du noch erlebt hast. Du bist meine Spielmünze.“

„Das Spiel ist ganz lustig. Es passt gut für eine große Gesellschaft, besonders für Raucher oder Betrunkene, denen man während des Spiels eine Zigarette stecken kann.

Man legt eine Serviette auf ein normales Glas. Damit sie nicht rutscht, kann man den Glasrand mit einem Stück Eis einreiben. Ein Eiskübel steht während des ganzen Abends auf jedem Tisch. Auf die Mitte der Serviette wird eine Münze gelegt. Danach brennen alle Spieler, die am Tisch sitzen, mit ihren Zigaretten je ein Loch um die Münze herum hinein. Derjenige, bei dem dabei die Münze ins Glas fällt, hat verloren. Die Japaner haben meistens schlechte Augen und mit ihren Zigaretten wild in die Gegend. Die treffen nicht einmal das Glas. So gehe ich durch den Klub wie ein Sparschwein, mit einer Münze im Glas.“

Am anderen Ende war das feine Lachen der Freundin zu hören.

„Sag mal, arbeiten viele Russinnen bei euch?“

„Nein, es gibt wenig Russinnen. Wenn man Weißrussinnen nicht dazurechnet. Dafür gibt es eine Menge Ukrainerinnen, aus Donezk, Charkow, Sumy und Kiew. Ein Mädchen aus Litauen.

Nach der Arbeit laden die Japaner alle Mädchen zu einem späten Abendessen ein, oder besser gesagt, zu einem frühen Frühstück. Es gilt als cool, einen Haufen schöner Mädels ins Restaurant einzuladen. Da sitzt dann ein Typ mit zwanzig Weibern da, stolz wie ein Adler, und zeigt allen, wie steinreich er ist. Die Japaner geben gern an. Das ist ein Teil ihres Lebens, es bringt Status und Prestige. Er zahlt für alle ohne zu überlegen, was ihn die ausgesuchtesten Speisen Japans kosten würden. Die Mädchen ihrerseits genieren sich nicht und bestellen Fugu oder verschiede Seeigel, und das kann am Ende des Abends ganz schön ins Geld gehen.

Ich werde zusehends dicker! Schrecklich! Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, wenn es so leckeres Essen gibt. Ich verputze alles. Stell dir vor, gestern zum Aperitif habe ich kleine lebende Fische gegessen. Die werden in einem hohen Glas serviert, damit sie nicht herausspringen können. Man greift mit den Stäbchen ins Glas, schnappt einen Fisch, führt ihn zum Mund und schluckt ihn ganz.“

„Einen lebenden Fisch?“

„Ja klar! Du kannst spüren, wie er irgendwo in deinem Bauch stirbt.“

„Pfui, wie ekelhaft! Wie konntest du sowas aufessen? Du bist pervers!“

„Das höre ich doch gerade von dir sehr gern“, sagte Stella schmunzelnd.

Gelächter erklang von beiden Enden der Welt und verschmolz zu einer Sinfonie zweier verwandter Seelen.

„Geh schlafen, Liebes. Morgen hast du einen schweren Tag.“

„Ich kann bestimmt nicht einschlafen.“

„Schlaf bitte! Du musst doch unwiderstehlich sein an deinem ersten Arbeitstag im schönen Genf!“

„Gut. Ich rufe dich vor dem Abflug an. Ich versuche auch, zu schlafen. Küsschen…“

„Küsschen zurück…“

„Oh Gott. Es macht so einen Spaß, mit dieser Schlange zu telefonieren! Ich sollte vielleicht doch das Land der Schlitzaugen besuchen! Sushi, Fugu… mmmmm.“

Sie konnte nicht einschlafen. Die ganze Nacht drehten sich in ihrem Kopf schreckliche Gedanken: Sie könnte am Flughafen verhaftet werden oder eine internationale Fahndung nach ihr könnte eingeleitet werden. Sie war sauer, weil Stella es geschafft hatte, davonzukommen. Natalja war der Meinung, dass gerade ihre Freundin im Gefängnis enden sollte. Die zweite Frage, die ihr keine Ruhe ließ, lautete: Was erwartete sie wirklich in Genf? Sehr viele Mädchen kamen nicht mehr zurück, wenn sie einmal im Ausland waren.

„Dieser Stella werd ich's noch zeigen! Ich werde es alles viel besser machen als sie! Sonst wäre ich ja nicht ich. Ich lasse mich von dieser hochnäsigen Schlampe nicht übertrumpfen! Nie im Leben!“

Ihre Gedanken drehten sich wie das Karussell, das sie einmal in einem amerikanischen Kinderfilm gesehen hatte: Vorn fuhr ein Auto und dahinter flog ein Hubschrauber. Wie ein Präsidentenkonvoi. Genau so und nicht anders stellte sich Natalja ihr Leben in der Fremde vor. Befriedigt von diesen positiven Gedanken sank sie in den Schlaf. Sie träumte, dass sie mit einem Hündchen mit rosarotem Schleifchen im Arm in einen hellblauen Bentley stieg und durch die Stadt fuhr. Ihr Seidenschal wehte. Sie zahlte überall mit einer schwarzen American- Express-Karte, deren Limit mindestens fünftausend Dollar sein sollte. Für kleinere Ausgaben würde das reichen.

Am Morgen, noch nicht ganz aus dem wunderbaren Traum erwacht, dachte sie weder an Stellas Bräutigam noch an ihren Ljonja. Dennoch ertappte sie sich bei dem Gedanken:

„Heißt er wirklich Ljonja? Stella, dieses Miststück, kann einen ganz um den Verstand bringen. Ach was, natürlich heißt er Ljonja! Ich bin doch nicht blöd!“

Sie schritt fest durch das Zimmer, murmelte vor sich hin, packte den Rest ihrer Sachen und dachte dabei nur an Geld und Unabhängigkeit. Natalja war sich sicher, dass das Glück aus Kohle bestünde. Je mehr, desto besser. Wenn jemand sie von dieser Meinung abbringen wollte oder diese unmoralische Einstellung zu widerlegen versuchte, fragte sie ihn einfach, ob er reich wäre. Immer stellte sich dann heraus, dass dieser Mensch arm war. Von einem reichen Mann bekam sie so etwas nie zu hören.

Zum ersten Mal, seit sie in Moskau war, hatte sie die Nachrichten auf ihrem Handy nicht überprüft. Außerdem löschte sie alle Kontakte darauf.

Natalja trat vor den Spiegel, um sich von der Seite zu betrachten. Sie wollte ihr Gesicht sehen, um zu erkennen, ob sie litt oder nicht. Sie lächelte so eiskalt und gefühllos, dass selbst der Satan erschaudert wäre. Sie begann das Lied „Non, je ne regrette rien“ von der berühmten französischen Prostituierten Edith Piaf zu summen. Sie war aufgeregt, gestikulierte theatralisch, wand sich wie eine Brillenschlange und genoss die Biegsamkeit ihres schlanken Körpers. Ihre Augen blitzten teuflisch. Es schien fast schrecklicher, in diese kindlich anmutenden, aber hasserfüllten Augen zu blicken als in die Tiefen der Hölle.

„Ihr findet es lustig, aber ich leide“, sagte sich das Mädchen leise und kalt und erstickte fast vor fieberhaftem Gelächter.

Bravo!“ Ein tolles Bild! Sie hatte eine gute Rolle am Bolschoi-Theater verdient.

Das Mädchen war zweifellos eine wahre Bestie! Eine Strafe für Männer, ein Blutegel für Frauen, Mütter und unschuldige Kinder. Nicht umsonst hatte man die Huren in alten Zeiten verbrannt. Sie stellten eine tödliche Bedrohung für das Familienglück und Ruhe der Menschen dar. Aber auch heutzutage waren Frauen bereit, wegen eines geliebten Mannes oder vielleicht wegen eines reichen Politikers. Da gab es keinen wesentlichen Unterschied. Die Jagd auf Männer lief rund um die Uhr, wie der Grill bei McDonalds. Selbst in klirrend kalten Nächten marschierten kampfbereite, mit Silikon optimierte Weiber zu Hunderten durch die Straßen, gaben vor, dass sie sich verlaufen hatten, und fragten bei jedem Mercedes oder BMV aufs Geratewohl, wie sie zur nächsten U-Bahn-Station gelangen könnten – in der Hoffnung auf die Rückfrage:

„Junge Dame, kann ich Sie mitnehmen?“

Ganz abgesehen von den professionelleren Huren, die ihr Startkapital für eine produktivere Männerjagd bereits angehäuft hatten, die in warmen Restaurants, auf Skipisten, an Stränden und allerlei anderen Orten ihre Fallen stellten und das Leben von anständigen Hausfrauen und Mütter verdarben, die ihrer weiblichen Reize nicht mehr sicher waren.

Ein Paradoxon der verfluchten Realität!

Die Fahrt zum Flughafen war nervig. Es gab fürchterliche Staus. Die Wartezeit hätte ausgereicht, um das Auto zu verkaufen und ein neues zu erwerben, das näher an der Ampel hielt.

Natalja war jetzt schon ein Nervenbündel, alles rutschte ihr aus der Hand, als ob sie Fieber hätte.

Der stinkende Taxifahrer hatte ihr verboten, in seinem verdammten Daewoo Lanos zu rauchen, weil sie sein Gefährt „Anus“ genannt hatte. Das konnte er ihr nicht verzeihen, denn auf dieses Traumauto hatte er ein halbes Leben lang gespart.

Natalja bemerkte eine blinkende Lampe am Armaturenbrett, die einen leeren Tank meldete.

Zwischen zusammengebissenen Zähnen stieß sie drohend hervor:

„Ich fliege nach Genf, verdammt noch mal. Und ich warne Sie. Wenn Ihnen der Sprit ausgeht, bevor am Flughafen sind, rauche ich nicht nur in Ihrem Wagen, Sie müssen ihn mir außerdem schenken! Die Unterlagen und das Ticket haben mich doppelt so viel gekostet wie Ihr Scheißschlitten!“

„Aha. Meine Teuerste, ich bitte Sie, höflicher zu sein. Sonst gehen Sie zu Fuß nach Ihren Genf. Haben Sie mich verstanden?“

„Nein, hab ich nicht!“, zischte Natalja und rauchte an.

Nach zahlreichen Vorwürfen gegen den Taxifahrer erreichte sie endlich den Flughafen. Sie rannte zum Schalter und legte eilig ihren monströsen Koffer auf die Waage. Als sie sah, dass er zweiundvierzig Kilo statt der erlaubten fünfundzwanzig wog, wurden ihre Augen rund wie Münzen.

„Sie können entweder draufzahlen oder das Übergepäck wegnehmen. Gehen Sie bitte beiseite.“

Natalja blieb das Herz stehen. Sie vergaß sogar, dass die Bullen nach ihr fahndeten. In diesem Koffer steckte alles, was sie in den nächsten acht Monaten brauchen würde. Nur das Allernötigste. Es gab ganz bestimmt nichts, worauf sie verzichten könnte.

„Wie viel muss ich draufzahlen? Entschuldigung!“

„Glauben Sie mir, ziemlich viel. Besser wäre es, so viel wie möglich vom Übergepäck wegzunehmen. Und bitte schneller. Wir haben noch zwanzig Minuten, bis der Check-in schließt.“

„Ich habe sie höflich gefragt, wie viel ich zu bezahlen habe. Aber statt zu antworten, zählen Sie mein Geld!“

„Ich helfe Ihnen zu sparen!“

„Noch besser!“

„Sie können sich ans Büro wenden und dort Ihr Übergepäck abrechnen. Es liegt am Ende des Korridors rechts. Bezahlen Sie und bringen bitte den Kassenzettel mit. Und verpassen Sie Ihren Flug nicht.“

„Wollen Sie sich über mich lustig machen? Sagen Sie mir wenigstens, was das Übergepäck kostet.“

„Ich sage Ihnen doch, dass ich es nicht weiß. Aber es wird schon ziemlich teuer. Mindestens fünfhundert Dollar!“

„Sind Sie wahnsinnig? Der Durchschnittslohn im Land liegt bei hundert Dollar!“

„Hören Sie bitte auf, Ärger zu machen und holen Sie das überflüssige Gepäck aus Ihrem Koffer. Sonst fliegen Sie heute nirgendwohin.“

„Wenn ich nicht abfliege, schmeiße ich Ihnen eine Bombe vor die Füße! Oder eine Rauchdose, verlassen Sie sich drauf!“

Sie öffnete ihren Koffer, der zu platzen drohte, und begann, allerlei Zeug herauszunehmen. Darunter waren Buchweizengrütze, Zucker und sogar Konserven. Sie warf es in eine Mülltonne mit einem so traurigen Gesicht, als ob sie nicht in die Schweiz, sondern nach Afrika auswandern wollte. Die Menschen beobachteten sie überrascht und spöttisch. Sie murrte gekränkt vor sich hin:

„Was schaut ihr mich so an? Ich fliege in ein Land, wo alles sehr teuer ist! Warum soll ich dort etwas kaufen, was ich von zu Hause mitnehmen kann? Ich weiß gar nicht, ob sie mir dort Geld für Verpflegung geben. Und essen muss ich ja wohl!“

Fünf Packungen Billigshampoos, allerlei Cremes und Duschgels flogen in die Mülltonne, der Grütze hinterher.

„Wahnsinn! Wie kann ich das alles wegschmeißen? Unverschämt sind sie, diese Schweinehunde! Sie nehmen so viel Geld für die Tickets und dann darf man nichts mit an Bord nehmen! Arschgesichter!“

Trotzdem musste sie das Übergepäck loswerden.

Stinksauer durchlief sie im Nu die Kontrolle und vergaß dabei das Wichtigste, was sie so viele schlaflose Nächte gekostet hatte.

Das Flugzeug Moskau-Genf war startbereit.

„Hurra!“, jubelte Natalja. Erst jetzt fiel ihr die Polizeifahndung wieder ein und sie schmunzelte. „Die Buchweizengrütze hat mich vor Kummer bewahrt!

Stella wäre vor Lachen an Ort und Stelle krepiert. Diese Schlange! Sie hat mich nicht einmal angerufen!“

Der Flughafen von Genf war so sauber, dass sie ihre Schuhe ausziehen wollte, als ob sie in eine Wohnung hineinkäme.

Sie ging zur Gepäckabholung und stellte sich schweren Herzens ihren riesigen, halb leeren Koffer vor.

„Wie schade! So viel Geld habe ich zum Fenster rausgeworfen!“

Natalja tat die traurigen Gedanken ab. Sie ging in die Damentoilette, kämmte ihr Haar, frischte mit einem Stift ihre Augenbrauen auf. Gestern Abend hatte sie sie zupfen lassen, obwohl ihr das gar nicht passte, weil sie von Natur aus schöne, dichte Augenbrauen hatte. Aber sie war fest davon überzeugt, dass dünne Augenbrauen sexy aussahen.

„Mein neuer Look – voilà!“

Sie bekam ihren nun sehr leicht gewordenen Koffer zurück und begab sich mit stolzer Miene zum Ausgang.

Dort erwartete sie ein Mann mit einem Schild, auf dem ihr Name stand. Anscheinend war es ein Klubmitarbeiter. Er grüßte Natalja höflich und führte sie zum Auto. Eine für sie völlig neue, unbekannte Landschaft erstreckte sich vor dem Autofenster. Sie staunte über alte Häuser und winzige Straßen. Es gab weder Wolkenkratzer noch Menschenmengen zu sehen. Kaum ein Haus war höher als fünf Stockwerke.

Das Auto fuhr durch die Stadtmitte. Dort lagen auch Straßenbahnschienen, auf denen ein sehr modern aussehender Wagen entlangglitt. Er hatte etwas roboterhaftes an sich, wie aus einem fantastischen Film. Die Passanten flanierten mit vielen bunten Einkaufstüten in den Händen die Hauptstraße entlang und lächelten einander zu. In der Luft hing der Duft von Baguette, frischgemahlenen Kaffee und Croissants.

Sie bemerkte, dass die Menschen eher langweilig und unauffällig angezogen waren, so wie Stella. Sie schmunzelte unwillkürlich über die hiesige Mode, in der, wie sie meinte, strenge graue, braune und dunkelblaue Farbtöne vorherrschten.

„Das wird mein Erfolg! Mit meinen bunten Klamotten erobere ich die ganze Schweizer Männerwelt!“

Seltsamerweise hatte sie recht.

In der Schweiz herrschte ein ziemlicher Mangel an grellen, wasserstoffblonden Weibern, vor allem an solchen, die man auf Wunsch gegen Zahlung eines bestimmten Betrags knutschen konnte. Frauen dieser Art wurden natürlich nicht geheiratet, aber als Liebespriesterinnen betete man sie an. Natalja träumte eigentlich davon, zu heiraten, aber zuerst wollte sie in diesem reichen Land genügend Geld verdienen.

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